Auch das ist das Königreich der Niederlande: Karibik und Giebel in Willemstadt
Auch das ist das Königreich der Niederlande: Karibik und Giebel in Willemstadt – CC0

Wenn über der Karibik ein Orkan hinwegfegt und ganze Inseln verwüstet, dann ist das für uns in Deutschland eine erschreckende Nachricht. Menschen sterben, verlieren Hab und Gut und Hunderttausende sind auf absehbare Zeit ohne Infrastruktur. Doch ist diese Nachricht für den deutschen Nachrichtenverfolger so abstrakt, wie Präriebrände in Montana oder Dürrekatastrophen in Afrika. Sie kommen, bleiben eine Weile aktuell und verschwinden nach einiger Zeit aus dem Bewusstsein. Das ist wohl ganz normal. Denn es ist schlicht unmöglich, sich aller Katastrophen gleichermaßen zu erinnern. Die vor der Haustür, Oderhochwasser oder Elbhochwasser bleiben da eher in Erinnerung.

Ein Tropensturm im eigenen Land

Daher hat in den Niederlanden der jüngste Karibiksturm ‚Irma‘ mehr Eindruck hinterlassen. Denn die nahezu komplett verwüstete Insel Sint Maarten, auf der Nachrichten zufolge vier Menschen starben, ist ein Teil des Königreichs der Niederlanden.

Sint Maarten im September 2016, Verwüstung durch Hurrikan Irma
Sint Maarten im September 2016, Verwüstung durch Orkan Irma – CC0

Als solches liegt es den Niederländerinnen und Niederländern emotional näher, als die Sahel-Zone oder der Mittlere Westen der USA. Das Spendenaufkommen für Sint Maarten in den Niederlanden ist gewaltig. König Willem Alexander reiste direkt nach dem Tropensturm auf die Karibikinsel. Auch Premier Mark Rutte bietet Besuch und Hilfe beim Wiederaufbau an.

Ich nehme die Nachrichten wahr, doch bemerke ich, dass ich mit den Begrifflichkeiten und Zuständigkeiten durcheinander komme. König Willem Alexander ist Staatsoberhaupt von Sint Maarten, Rutte aber nicht dessen Premierminister. Einen Premier hat Sint Maarten selbst. Für mich war es Anlass, die Kolonialgeschichte der Niederlande und der Entwicklung bis zum heutigen Stand nachzuvollziehen.

Das Königreich der Niederlande heute

Das Königreich der Niederlanden besteht heute aus 4 autonomen Ländern: Den Niederlanden, Aruba, Curacao und Sint Maarten. Dann gibt es noch die sogenannten BES-Inseln. Das sind Bonaire, Sint Eustatius und Saba. Sie gehören als „Besondere Gemeinden“ direkt zu den Niederlanden. Allerdings bilden sie das separate Reichsterritorium der „Karibischen Niederlande“. Gesetze die im europäischen Teil der Niederlande gelten, gelten im karibischen Territorium nicht automatisch. Auch wird dort mit dem US-Dollar bezahlt.

Die gemeinsame Hauptstadt des Königsreichs der Niederlande ist Amsterdam, Staatsoberhaupt ist König Willem Alexander. Der Regierungschef ist der amtierende Premierminister der Niederlanden, derzeit Mark Rutte. Er sitzt dem Reichministerrat vor, der aus Regierungsmitgliedern aller vier autonomen Länder besteht. Formell gehört das ganze Königreich der Niederlanden zur Europäischen Union. Doch haben die außereuropäischen Gebiete, sowohl die autonomen Staaten, als auch für die BES-Inseln, den Status „Überseeische Länder und Hoheitsgebiete“ . Dort gelten nicht alle europäischen Gesetze. Die Bürgerinnen und Bürger haben aber die EU-Staatsbürgerschaft.

Jedes Land hat eine eigene Währung, nur in den Niederlanden selbst ist es der Euro.

Diese Konstellation besteht erst seit wenigen Jahre. Bis 2010 gab es als Staat noch die Niederländischen Antillen. Doch zunächst von Anfang an.

Das Goldene Zeitalter

Das 17. Jahrhundert war für die Niederlande, damals als Republik der Sieben Vereinigten Provinzen, das Goldene Zeitalter. Etwa die Hälfte des Welthandels wurde seinerzeit von den Niederlanden umgeschlagen. Mit der Anfang des 17. Jahrhunderts gegründeten Niederländischen Ostindienkompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie oder VOC) war ein weltumspannendes Handelsnetz geschaffen. Zu den niederländischen Kolonien und Besitztümern in dieser Zeit gehörten Teile Nordamerikas, Südamerikas, der Karibik, Afrikas, Indiens, Südostasiens und sogar Stützpunkte in Japan.

Goldene Zeiten - Ostindienfahrer in Rotterdam
Goldene Zeiten – Ostindienfahrer in Rotterdam – CC0

In dieser Zeit, genauer im Jahr 1634, wurden auch die zu den Niederländischen Antillen gehörigen Inseln von der VOC erobert. Diese waren seit der Entdeckung durch die Spanier im 16. Jahrhundert in spanischer Hand.

Entkolonialisierung

Durch Kriege gegen England und mit dem Wiener Kongress verloren die Niederlande zahlreiche dieser Kolonien. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben in Südamerika Surinam und in Asien Niederländisch-Indien, Niederländisch-Neu-Guinea. Letzteres ist auch als die Molukken oder Gewürzinseln bekannt. Und natürlich die bereits erwähnten karibischen Inseln der Niederländischen Antillen, die bis 1936 als Curaçao en Onderhorigheden bezeichnet wurden.

Niederländisch-Indien wurde 1949 unabhängig, zunächst in der Niederländisch-Indonesischen-Union unter der Niederländischen Krone. Dieser Staatenbund, ähnlich des Commonwealth, bestand jedoch nur bis 1954 und wurde von indonesischer Seite aufgekündigt. In diesem Jahr wurde auch Niederländisch-Neu-Guinea in indonesische Verwaltung übergeben.

1954 endet auch die niederländische Kolonialzeit. Surinam wurde unabhängig und die Niederländischen Antillen begründeten einen autonomen Staat innerhalb des Königsreiches der Niederlande.

Sint Maarten vor dem Sturm: Landeanflug über dem Strand
Sint Maarten vor dem Sturm: Landeanflug über dem Strand – CC0

Ein Staatenbund im Königreich der Niederlande

Mit dem Ende der Kolonialzeit war das Königreich der Niederlande ab 1954 ein Reich mit drei autonomen Ländern. Den Niederländischen Antillen, Surinam und den Niederlanden. 1975 löste sich Surinam aus diesem Verbund, das Reich blieb bis 1985 ein Zweierbündnis. In diesem Jahr löste sich Aruba aus dem Bund der Niederländischen Antillen und wurde ein eigenes Land innerhalb des Reichs.

In den 1990er Jahren begann eine Diskussion um die Zukunft der politischen Zukunft der Inseln. Es gab Bestrebungen zur vollständigen Unabhängigkeit vom Königreich. In einem Referendum stimmten aber weniger als 1% der für eine völlige Unabhängigkeit. Auf einigen Inseln stimmten sogar über 70 % für den Beibehalt des bestehenden Status der Niederländischen Antillen. Allein auf Sint Maarten wollte eine große Mehrheit die Eigenständigkeit.

Es wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der die Inseln Curacao und Sint Maarten neben Aruba zu eigenständigen Staaten innerhalb des Reiches erhob und die BES-Inseln unter territorialem Sonderstatus „Karibische Niederlande“ ohne Provinzzugehörigkeit direkt den Niederlanden anschloss. Diese Regelung trat 2010 in Kraft.

Und nun sind die Niederlande gefordert, Sint Maarten mit Geld und einem Plan zu helfen, die Sturmschäden, mithin fast die gesamte Infrastruktur wieder aufzubauen. Ich wünsche als geneigter Beobachter unseres Nachbarlandes dabei gutes Gelingen.