Mondrians Blick auf Apfelbaum und Kirchturm
Mondrians Blick auf Apfelbaum und Kirchturm

Das hinterste Eck liegt gleich um die Ecke

„Das liegt ja im hinnerletschten Eck!“,  so sagt man wohl über entlegen Orte, die zu erreichen es großer Mühe bedarf. In den Niederlanden ist das „hinterste Eck“ das Achterhoek. Das ist der östliche Teil der Provinz Gelderland, der wie eine Nase ins Münsterland hineinragt. Bocholt, Borken und Coesfeld sind nicht weit. Der hinterste Winkel vom Achterhoek, also der östlichste Zipfel,  ist Winterswijk. Eine mit rund 30.000 Einwohnern beschauliche doch lebendige Stadt, die neben einer schönen Fußgängerzone, stille Gassen, Straßencafés und Kunstgenuss bietet.

Von meinem Wohnort Bergkamen sind es 70 Kilometer Luftlinie oder 95 Kilometer über die Bundesstraße zu fahren. Das habe ich dann auch ganz gemütlich getan.

Mondrians Kuh in Winterswijk
Mondrians Kuh in Winterswijk

Für niederländische Verhältnisse untypisch und eine Freude für Besucher, die mit dem Auto anreisen: das Parken in der Innenstadt ist kostenlos. Es ist Sonntag, die Geschäfte haben geschlossen. Nur der Käseladen an der Ecke hat auf einer bunten Mondrian-Kuh große Käseräder in der Auslage, im Geschäft reichlich zum Probieren aufgeschnitten.

Überhaupt: Mondrian, oder wie in Winterswijk lieber geschrieben: Mondriaan. Die Zeitschrift De Stijl, an der Piet Mondriaan, der später ein ‚a‘ aus seinem Namen strich, prägend mitgewirkt hat, erblickte 1917 das Licht der Welt, vor genau 100 Jahren. Da Mondrian seine Jugend in Winterswijk verbrachte, feiert die Stadt das Jubiläum sichtbar mit. Die Fenster vieler Geschäfte sind gelb, blau und rot gemustert, Fähnchen in diesen Farben zieren die Häuser der Seitenstraßen, es gibt Mondrian-Espresso und die Plakate zum De-Stijl-Jubiläum sind omnipräsent. Die Villa Mondriaan, das Elternhaus des Künstlers und ihm gewidmetes Museum, ist ein Ziel für diesen Tagesausflug.

Mondrianfenster am Kirchplatz in Winterswijk
Mondrianfenster am Marktplatz

Stille Gassen und Gedichtfragmente im Park

Doch zunächst genieße ich das schöne Wetter, schlendere die Misterstraat entlang zum Marktplatz, über dem die Kirche des Heiligen Jacobus prangt. Sehr beliebt ist heute die Snackbar Plokker am Markt, die Plätze draußen sind alle belegt. Ich höre unter den Gäste fast ausschließlich Deutsch. Ich freue mich, dass ich auf Niederländisch bestellen kann. Die Antwort bekomme ich allerdings in sehr starkem achterhoekschem Akzent, auch wenn ich mir nicht sicher bin, was ihn genau ausmacht. Die terrasjes, die Straßencafés, sind heute ebenfalls gut besucht, an beiden Eisdielen am Platz stehen Kinder und Erwachsene in langen Schlangen.

Stille Seitengasse in Winterswijk
Stille Seitengasse: Nieuwstraat zwischen Medosestraat und Ratumsestraat

Doch schon eine Seitenstraße weiter ist der Trubel verflogen. Und es ist sehr zu empfehlen, in dieser baulich wunderschönen Stadt: die kleinen Gassen rund um die Kirche und den Marktplatz. Ich entkam dem sonntäglichen Besucherstrom und entdeckte dabei ganz bezaubernde Winkel. Eine ebenso unerwartete wie bewegende Entdeckung waren die in das Straßenpflaster eingelassene Gedichtplatten. Es sind leider nur Fragmente, die in der Wooldstraat und dem kleinen Park hinter dem HEMA zu bestaunen sind. Nähere Information konnte ich dazu nicht finden. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Kennt jemand den Hintergrund dazu?

Gedicht auf Steinplatte in Winterswijk
Auf dem Pflaster ein Gedicht

Ein Apfelbaum im Garten der Villa Mondriaan

Nun hatte ich einen ersten Eindruck der Stadt, Atmosphäre aufgesogen, und war bereit für Kunstgenuss. Vor einigen Wochen war ich im neu eröffneten Mondrian-Museum in Amersfoort, im Geburtshaus des Künstlers. Im Alter von acht Jahren zog Piet Mondrian nach Winterswijk und lebte dort zwölf Jahre lang, bevor an die Akademie für bildende Künste nach Amsterdam ging. Sein Elternhaus, die Villa Mondriaan, ist heute ein Museum. Hier hängen viele seiner Frühwerke, Landschaftsgemälde und Zeichnungen aus seiner Jugendzeit. Die künstlerische Entwicklung von naturalistischer Kunst hin zum Abstrakten ist in Filmen erklärt. Dabei taucht in fast allen Phasen ein Apfelbaum auf. Ein solcher stand im Garten der Villa, Auch heute ist dort wieder ein Apfelbaum gepflanzt. Die bekanntesten Werke, vor allem die der später, abstrakten Phase, sind im Gemeentemuseum Den Haag ausgestellt. Dafür sehe ich mich nun ausreichend mit Vorwissen gerüstet. Der Besuch dort wird Teil drei meiner Mondrian-Trilogie.

St. Jacob's church, Winterswijk *gouache on paper *75 x 50 cm *circa 1898 *signed b.l.: PIET MONDRIAAN
St. Jacobus Kerk, Winterswijk, von Piet Mondrian, ca. 1898 – © CC0

Karibikgefühl am Badesee

Für diesen warmen, zeitweise heißen Tag war die Stadt zur genüge erkundet. Direkt vor den Toren von Winterswijk liegt ein wunderschöner Badesee: das Hilgelomeer. Ein langgezogener Sandstrand, an dem sich auch an diesem frühsommerlichen Sonntag die Badegäste verlaufen, Campingplätze und Wald am Südufer. Die Sevink Mühle bietet ein umfangreiches Freizeitangebot mit Grillrestaurant und Pfannkuchenhaus.  Am Strand wächst allerdings gerade die karibisch anmutende Strandbar mit Strandkörben aus Holzpaletten und pastellfarbenen Giebelhütten – Willemstad lässt grüßen. Von den Palmen waren schon die Stämme aufgestellt, das Blattwerk folgt ganz sicher. Das Parken kostete mich allerdings, auch für rund eine Stunde, den Preis der Tageskarte von sechs Euro. In den Niederlanden aber (fast) überall möglich: Bezahlen mit EC-Karte.

breiter Strand am Badesee t'Hilgelo
Breiter Strand am Badesee

Danke, schöner Tag im Achterhoek

Es war ein wundervoller Tag im Achterhoek. Winterwijk, dass ich von einem Ausflug vor rund 20 Jahren kannte, habe ich erneut ins Herz gefasst. Winterswijk lohnt zum Shoppingbummel und wenn es nur für Käse und Vla aus „Holland“ ist, natürlich für den Kunstgenuss, für ein biertje am Marktplatz, friet speciaal oder einen Hauch Karibik am Badesee. Ich komme bald wieder.

Sehenswertes rund um Winterswijk:

Bücherstadt Bredevoort, seit 1993 ist Bredevoort, etwas westlich von Winterswijk gelegen, offizielle Bücherstadt der Niederlande

Das Achterhoek ist auch das größte Weinanbaugebiet der Niederlanden.