Holländisches Gebäck und Dutch Design – HEMA in Dortmund

Ein Weg gehört zu jeder Shoppingtour: der Weg zum HEMA
Ein Weg gehört zu den meisten meiner Ausflüge in die Niederlande: der Weg in das Kaufhaus mit den großen roten Buchstaben, ins HEMA. Ich mag es dort zu stöbern, Haushaltsutensilien, Schreibwaren, einfache und schöne Bekleidungsbasics, Dekokrams und vor allem die typisch holländischen Gebäckspezialitäten, allen voran die Stroopwafels. Alles hat irgendwie einen einfachen, aber besonderen Stil, der das ganze Sortiment prägt und ist preislich relativ günstig.
Schlichtes mit Geschmack
Es ist schwierig auszumachen, was genau den HEMA-Stil ausmacht, doch ist beinahe allen Dingen anzusehen, dass sie zum HEMA-Sortiment gehören. Schlicht, doch irgendwie ein Tick besonders. HEMA nennt es das Dutch Design, das mag es treffen. Vielleicht ist es mit ‚praktisch mit dem liebevollen Etwas‘ ebenso beschrieben. Den einheitlichen Stil kenne ich sonst nur von Ikea. Der haftet im großen schwedischen Möbelhaus jeder Obstschale und jedem Lampenschirm an, noch bevor man den Namen Äbblaskålar oder Lysbryllar wahrnimmt. Bei HEMA bedarf es auch keines besonderen Namens. Allerhöchstens der Abteilung mit dem Jip-und-Janneke-Geschirr. Denn neben Dutch-Design steht auch Dutch-Tradition bei der Gestaltung der Produkte hoch im Kurs. Und die Gestaltung ist einmalig, ein HEMA-Produkt ist nur bei HEMA zu bekommen.

Günstiges zum Einheitspreis
1926 eröffnete die Hollandsche Eenheidsprijzen Maatschappij Amsterdam, ihr erstes Geschäft in der Kalverstraat, der Haupteinkaufsstraße von Amsterdam. Für diesen Namen steht HEMA als Akronym, übersetzt bedeutet es Holländische Einheitspreis-Gesellschaft Amsterdam. Es war als Billigzweig des noblen Kaufhauses de Bijenkorf gedacht, im Stile des amerikanischen Kaufhauses Woolworth. Alle Produkte kosteten anfangs 25 oder 50 Cent. Später auch 75 Cent und einen Gulden. Diese Preispolitik hielt bis 1945. HEMA war auch Vorreiter auf dem Gebiet des Franchise. In den 1950er Jahren war es der erste Franchise-Lizenzgeber der Niederlande und ist heute mit mehr als 250 Franchisenehmern und 680 Geschäften das größte niederländische Franchiseunternehmen. In Deutschland gibt es derzeit zwölf Filialen.
HEMA in Dortmund

Dutch Tradition, Dutch Design
Stroopwafels in allen Varianten, Honigkuchen, gevulde koek, Lakritz und Pfefferminzbonbons. Dazu Dekokrams in Oranje zu den wichtigen Festivitäten, Schokoladenbuchstaben zu Sinterklaas. Im Mondrian-Jahr dekorierte HEMA in gelb-rot-blau mit schwarz-weiß-Raster. Es ist das Kaufhaus mit dem typisch holländischen Sortiment und spielt diese Trumpfkarte auch aus. Nicht zuletzt durch diese große Identifikation mit den nationalen Ritualen und Traditionen ist die Kette in den Niederlanden so beliebt. Ein echter Markenkern, auch jenseits der Polder und Windmühlen. Denn gut und günstig gibt es in Deutschland vielfach, nimmt es das Dutch Design mit ins Boot, sticht es heraus. Auch in den deutschen Filialen sind deshalb die spezifisch niederländischen Produkte im Angebot, wenn ich mir in Dortmund auch eine größere Auswahl an Lakritz gewünscht hätte. Erfreulich war die Vielfalt an süßem Gebäck. Wenn ich mal nicht zum Einkaufsbummel in die Niederland komme, ist Dortmund jetzt eine echte Alternative.

Deutschland, stell Dich hinten an!
Ein kleiner Nachteil: das Ladengeschäft in Dortmund ist nicht ideal geschnitten. Es hat eine recht kleine Grundfläche, über drei Etagen mit einer dominanten Rolltreppe in der Mitte. Der Kundschaft war es in den ersten Tagen nach der Eröffnung egal, das Gedränge war ordentlich. Doch sie muss sich hierzulande noch an die eine Sammelschlange für mehrere Kassen gewöhnen. Ich kannte das Prinzip zum Glück bereits aus den niederländischen Filialen und finde es durchaus sympathisch, da gerechter als das herkömmliche Supermarktprinzip.
Besondere Marketingaktionen
HEMA fiel auch jenseits der NL-Community durch besonderes Marketing auf. Eine in Sozialen Medien viral gewordene Animation des Webshops ging 2012 durchs Netz.
Und wie mache ich auffällige Werbung für einen Push-Up-BH? Genau: mit einem männlichen Model. Oder ganz die Geschlechterrolle in Frage stellen? Ein Mädchen beschwerte sich über die Sozialen Medien über allzuviel Pink in der Bekleidungsauswahl. HEMA reagierte prompt: raus mit rosa und hellblau! Fortan war nur noch geschlechtsneutrale Kinderkleidung im Sortiment. Auch diese Aktion löste eine gesellschaftliche Debatte aus! Einerlei, ob es dem Unternehmensmarketing um Aufmerksamkeit ging, es hatte die Nase vorn, innovativ und sympathisch.
Hier scheiden sich die Geister: die rookworst/Rauchwurst
In der Nähe der Kasse lauert in vielen niederländischen Filialen eine andere Besonderheit der Handelskette: die rookworst, eine Rauchwurst, die von der Form her der deutschen Fleischwurst ähnlich ist. Bei vielen ist die Wurst die erste Assoziation, doch nicht immer positiv belegt, denn der Duft der Wurst verbreitet sich in weiten Teilen des Ladengeschäfts. Da ich auch kein Wurstfreund bin, habe ich das Angebot bisher erfolgreich ignorieren können. Die Geschichte der warmen Wurst ist aus der Not geboren. Im Jahr 1936 wurden in einer Filiale in Amsterdam zu viele der ansonsten kalt verkauften Würste bestellt. Doch als warmer Snack gingen sie weg wie warme Semmel. Andere Geschäfte folgten, aus der Not wurde so eine erfolgreiche Aktion, die zu einem Markenzeichen wurde.
Das Geheimnis von HEMA
Was macht es nun aus, das Geheimnis von HEMA? Dem Kaufhaus, das ein Großteil der Niederländerinnen und Niederländer mehrfach zur wichtigsten niederländischen Marke wählten, im Jahr 2010 mit 62 Prozent?
Die in Hongkong geborene und in den Niederlanden aufgewachsene Dokumentarfilmerin Yan Ting Yuen ging dem nach in Het geheim van de HEMA, der in der Mediathek von NPO noch zu sehen ist.
Auf eine unterschwellige Weise war mir das Geheimnis bei meinen Besuchen immer schon bewusst, irgendwie. Aber das ist ja auch das Geheimnis von Geheimnissen, dass sie nicht sofort ins Auge stechen, sondern eher ein Gefühl von ‚ach ja‘ mitgeben. Genau das ist, was HEMA macht.
Weitere Links
Hinweis:
Auch wenn dieser Artikel in mancher Hinsicht werblich klingen könnte, gab es keinerlei Kontakte von Blog speciaal oder dem Autor zum Unternehmen HEMA. Dieser Artikel ist keine Werbung und wurde in keiner Weise durch das Unternehmen initiiert, bezahlt oder unterstützt.
Hallo Oliver,
Es gibt einfach Marken, die man als „typisch niederländisch“ empfindet wie Verkade, Douwe Egbert, Albert Heijn, Grolsch oder früher SPAR. Dazu gehört auch HEMA, wobei ich da sagen würde: HEMA wird noch mehr in den Niederlanden selber als „typisch“ wahrgenommen als im Ausland – und vielleicht eher noch als „holländisch“ denn als „niederländisch“. HEMA mag ganz früher einen „Arme Leute“-Geruch gehabt haben, doch sein Image ist seit langem das von Solidität, von Vertrautheit, von „kein Schnickschnack“: wer in den HEMA geht, erwartet dort Ware vorzufinden, die zuverlässig ist, einigermaßen langlebig, nicht „billig“ (a la Ramsch vom TEDI), sondern „preiswert“ – im eigentlichen Sinne des Wortes. Übrigens: auf den Vergleich mit IKEA wäre ich nicht gekommen, aber ich finde ihn sehr treffend.
Wer im HEMA einkauft, der kann alle essentiellen Bedürfnisse befriedigen: er wird nicht verhungern und verdursten, findet Kleidung vom Pyjama bis zum Parka, nötigen Hausrat vom Teller bis zum Toaster, ein Basisangebot an Kosmetik oder auch Werkzeug. Große Mode und irgendwelcher schnellebiger „Chi-Chi“ erwarten einen dort nicht, was ein Vorteil ist, wenn man Dinge länger benutzen will: denn nichts ist so schnell aus der Mode – wie eben Mode. Ein vergleichbares Geschäft ist mir in Deutschland nicht bekannt. HEMA bietet zwar vielerlei, aber innerhalb der einzelnen Warengruppe keine ausufernd große Auswahl. Hat mich aber nie gestört, denn seien wir ehrlich: von der großen Auswahl sind wir doch ohnehin oft erschlagen. Wenn ich im „Kaufland“ vor 2 Dutzend verschiedener Würstchensorten stehe, greife ich „aus Verzweiflung“ oft zu irgendeiner beliebigen Dose. Das Problem habe ich nicht beim HEMA.
Daß HEMA nun auch, wie im Artikel vermerkt, vor der Political Correctness einknickt, den Genderwahn mitmacht (und ich glaube, auch schon mal den „Zwarte Piet“ in vorauseilender Feigheit verbannte)führt bei mir natürlich zu deutlichen Abzügen in der B-Note. Da verwechselt man „mit der Zeit gehen“ wohl mit Opportunismus. Dennoch: HEMA gehört für mich, nicht zuletzt aus Nostalgie, zu den sympathischen Geschäften. Denn so manch anderer altbekannte Name wie „Edah“, „van Leest“ oder „Vroom & Dreesman“ ist verschwunden – HEMA ist immer noch da. Bloß: immer wenn man Presseberichte liest mit Worten wie „Investorengruppe“, „Venture Capital“, „verschlanken“ oder „modernisieren“, sollte man aufhorchen, denn das bedeutet durchweg nichts Gutes. Und letztes Jahr las man dann auch „Private Equity Gesellschaft will HEMA verkaufen“. So begann bei Vroom & Dreesmann ja auch der Untergang. Wollen wir also hoffen, daß HEMA nicht – im doppelten Sinne – „mit der Zeit gehen muß“.
Seit Kindesbeinen verbinde ich aber mit HEMA eines ganz besonders: mit meiner niederländischen Oma beim HEMA eine „Rauchwurst“ essen. Ich weiß nicht, ob es sich nur um eine nette Anekdote handelt, aber dieser HEMA-Klassiker soll darauf zurückgehen, daß eine Filiale vor Jahrzehnten mal zuviel Rauchwurst geordert hatte und sie dann einfach vor den Augen der Kunden aufbrühte und „auf die Faust“ verkaufte. Seitdem gehört die „rookworst“ einfach zu HEMA.
Hallo,
wie beeindruckend es immer wieder ist vergangenes quasi in der Zukunft, also heute zu lesen. DU hast diesen Kommentar 2018 geschrieben. Hema wurde 2019 von Lion Capital „von der Börse genommen“ also aufgekauft. Lion Capital ist eine Private Eqiuty Gesellschaft. Hema stand dadurch die letzten Jahre mehrmals so knapp vor dem Abgrund und konnte nur in allerletzter Minute gerettet werden. Ein komplett gesundes Unternehmen wurde auseinander gerissen, zerkaut und wieder ausgespuckt. Lion Capital hatte Hema für 1,3 Millarden gekauft. Die Firmenleitung hatte den Preis noch nach oben gedrückt und am Abend des Verkaufs gefeiert. Am nächsten Tag schreibt Lion Capital die vollen 1,3 Milliarden Hema als Schuld in die Bücher. Hema hatte nie Schulden. ich mmuss es nochmal schreiben. Auf einen Schlag sind da 1,3 Milliarden Euro an Schulden. Das Geld ist auch noch zu unglaublich schlechten Kondition geliehen bei mehreren Großbanken. Hema hat die letzten 5 Jahre nichts anderes gemacht als die Zinsen aus dieser Schuldensumme zu begleichen. Jeglicher Euro der irgendwie verfügbar war, musste in die Zinslast dieser unfassbaren Summe fließen. Hema lebt zum Glück noch und hat bei Jumbo ein wirklich gute Heimat gefunden, aber was unter Lion Capital die letzten Jahre mit Hema geschehen ist, ist einfach nur traurig. Es gibt dazu zwei super Bücher. Allerdings nur auf holländisch: „de slag om Hema“ von Stefan Vermeulen.
Viele Grüße
Rudi
Danke, Uli, für diesen ausführlichen Kommentar und weitere schöne Aspekte zur HEMA-Story. Die rokwoorst muss ich wohl oder übel noch in den Artikel einbauen, obwohl ich kein Wurstfan bin. Aber diese Assoziation höre ich von vielen Seiten als erste zu HEMA.
In Deutschland hat mal Strauß-Innovation ein ähnliches Konzept versucht. Die hatten auch einige sehr schöne und schlichte Dinge, die ich über eine Zeit sehr gerne gekauft habe. Das Angebot verwässerte dann aber und war nicht so wiedererkennbar, wie bei HEMA. Die gibt es seit einige Jahren nicht mehr.