Fiets auf Deich
Fiets auf Deich

Renesse, den 7. September 2018

Sturm sollte es geben. So sagte es heute vor dem Frühstück meine Wetter-App. Mit so einem echt fiesen Blasesymbol. Und die Wetter-App hat ja das Sagen. Im Urlaub, in der Freizeit, sowieso. Auf dem Plan für heute steht: Radtour. Was also tun, fragte ich mich. Lass ich mich davon beeindrucken und schmeiße den Plan um? Heute Museen, morgen Radtour? Aber ich bin doch vor allem neugierig auf dem geringelten Leuchtturm. Da wollte ich doch unbedingt hin fietsen. Und am Samstag ist nationaler Monumententag, das ist viel besser für Museen. Und es sollte heute sonnig und morgen wolkig werden. Aber Sturm? Weshalb denn jetzt plötzlich das?

Nase in den Wind und los!

So ganz ruhig. Nase raushalten. Wie windig ist es denn überhaupt. Geht doch. Also erstmal so tun, als würde es schon nicht so schlimm werden. Nach dem Frühstück (und etwas Orgakram) ging’s ins Dorf. Halstuch kaufen. Hatte beim Packen wohl nicht mit Herbst und Nordseewetter gerechnet. Ich wieder! Bestens organisiert.

Anschließend zum Fahrradverleih, der mir gestern Abend für das Leihen eines Rades von gestern Abend bis morgen Abend drei Tage anrechnen wollte, gestern, heute und morgen. So nicht, heute früh wieder hin, eine Tagesmiete gespart. Kurz überlegt, ob wohl ein E-Bike besser wäre, wegen Sturm, aber echt nur kurz. Ich möchte mich doch bewegen. Die Strecke selbst erradeln. Ich konnte ein E-Bike ja im vergangenen Jahr an der Nordsee testen und schätzte seinerzeit die elektrische Unterstützung, doch blieb ich heute standhaft. Aber ich erlaubte mir sieben Gänge, die Luxusvariante.

Was ich aber angesichts des heranziehenden Sturmes tat: ich änderte die Route. Nicht als erstes direktemang zum Leuchtturm, auf den ich ja wegen der Ringe ganz besonders neugierig war. Denn der Weg zum Leuchtturm würde durch die ungeschützten Dünen an der Nordseeküste entlang nach Westen gehen, also voll gegen den Wind. Ich würde also zunächst ein Stück nach Osten radeln, später durchs Hinterland, an der Oosterschelde entlang nach Westen, von dort zum Leuchtturm und dann mit vollem Rückenwind zurück ins Ziel. Das ist ein Plan!

Fietsrunde Renesse – Scharendijke – Serooskerke – Plompe Toren – Burgh-Haamstede – Renesse

Es fehlt etwas in der Routenbeschreibung, fällt es Dir auf, liebe Leserin, lieber Leser? Aber dazu später. Zunächst aufs Rad und auf den Wind gesetzt: hui, geht das ab! Eine breite Fahrradstraße, auf der Autos fahren dürfen, aber nur als Gast, brachte mich aus Renesse hinaus. Am Brouwersdam, auf dem man die Insel Schouwen-Duiveland in Richtung Norden verlassen kann, stoße ich auf das Grevelingenmeer. Ein Meer im Sinne von meer, das im Niederländischen einen See bezeichnet. Der allerdings heute mit guten Bedingungen für Surfer aufwarten konnte. Taucher sah ich ebenfalls, denen der Wellengang  auf der Nordsee wohl mehr abverlangt hätte.

Windmühle De Lelie Scharendijke
Pannekoeken in der Mühle – De Lelie in Scharendijke

Die Pfannkuchenmühle

Yachthafen Scharendijke, der Ort selbst noch verschlafen. In der frühen Mittagszeit hatte die Gastromeile fast komplett geschlossen. Etwas Hunger hatte ich schon. Zurück zur Snackbar der Tauchschule am Hafen? Nö, weiter! Eine Pannekoekenmole, also ein Pfannkuchenhaus neben einer Windmühle am Stadtausgang lockte mich dann doch zur Einkehr, obwohl ich gerade erst gut fünf Kilometer unterwegs war. De Lelie, hier war es gemütlich und köstlich. Und es tat gut, denn von hier aus ging es landeinwärts und in verschiedenen Winkeln gegen den Wind.

Im Hinterland erscheint Schouwen-Duivenland vor allem agrarisch. Weites, plattes Land, abgemähte Felder, hinter Hecken geschützte Höfe. Etwas eintönig sogar. Die Strecke ging zunächst entlang einer schönen Pappelallee, die auch für Autos benutzbar ist, später ein separater Radweg entlang eines Kanals. In Serooskerk erreichte ich die südliche Küste der Insel. Hier ist kein Sandstrand, so wie an der Nordseeseite, sondern ein betonierter Deich zur Oosterschelde. Etwas Sorge hatte ich, wie sehr ich hier dem Sturm ausgesetzt sein würde. Dankbar war ich daher, dass der Weg zunächst nicht auf dem Deich, sondern geschützt neben einer hohen Heckenwand entlang verlief.

Später führte der Weg doch oben auf dem Deich entlang, so mühte ich mich redlich ab, um Tempo zu halten. E-Bikes überholten mich, Rennradgruppen überholten mich, ich strampelte tapfer im zweiten Gang.

Der Kirchturm von Koudekerke

Eine Besonderheit am Süddeich ist der Plompe Toren, übersetzt der plumpe Turm. Er ist das sichtbare Überbleibsel der Kirche von Koudekerke, sogar das einzige Überbleibsel des ganzen Dorfes. Es verschwand nach mehreren Deichbrüchen zusammen mit weiteren Dörfern im 16. und 17. Jahrhundert in den Fluten der Nordsee.

Plompe Toren
Nur noch der Kirchturm: der Plompe Toren von Koudekerke

Heute ist der Turm das Besucherzentrum im Naturschutzgebiet Koudekerkse Inlaag, einem Feuchtgebiet hinter dem Süddeich. Der Turm dient als Infozentrum für die Vogelwelt an Nordsee und Schelde. Ein Aufstieg auf den Turm lohnt vor allem wegen der spektakulären Aussicht auf den Westteil der Insel. Die Oosterscheldekering, der Schleusenschutz zwischen Schelde und Nordsee, und die über fünf Kilometer lange Zeelandbrug zwichen Schouwen-Duiveland und der südlichen Nachbarinsel Kamperland sind von hier wunderbar zu sehen.

Burgh-Haamstede und Richtung Leuchtturm

Vom Plompe Toren ging es wieder landeinwärts, Richtung Norden. Im größeren Ort Burgh-Haamstede machte ich nur einen Trinkstopp, schnell wollte ich weiter zum Leuchtturm.

Hinter dem Ort begann der schönste Teil der Strecke durch ein bewaldetes Dünengebiet. Mehrere Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg lagen hier unter den Hügeln versteckt. Immer schaute ich, ob ich nicht bald einen Blick auf die roten Ringelstreifen des Leuchtturms von Nieuw-Haamstede erhaschen könnte. Doch erst, als ich das Waldgebiet der Seepe Duinen wieder verlassen hatte und die Straße nach Nieuw-Haamstede erreichte, sah ich es: der Leuchtturm ist komplett eingehüllt! Wegen Renovierung ist die Ansicht geschlossen! Nix Ringelstreifen!

Den Schock musste ich erst einmal verdauen. Ich denke nicht zuletzt war dieser besondere Leuchtturm für mich ausschlaggebend, für die zweite Staffel der Inseltagebücher nach Schouwen-Duiveland zu kommen. Puh! Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Langsam das Rad wieder besteigen. Ich fuhr letztlich gar nicht erst hin, zur verhüllten Schönheit der Insel. Den Anblick aus der Nähe hätte ich wohl nicht ertragen.

Radweg auf Schouwen-Duiveland
Fietsen durch die Dünen

Natürlich bereue ich keinesfalls, diese Insel als Ziel gewählt zu haben. Die Strecke durch die Dünen an der Nordseite der Insel entlang hat mich für alles entschädigt. Einige Steigungen und Talfahrten waren unterwegs zu meistern. Immer wieder war die Nordsee zwischen den Dünen hindurch zu erblicken. Nördlich von Burgh-Haamstede ist der Strand besonders breit, vermutlich durch Anspülen einer Sandreserve, die sich an der Küste durch die Strömung anlagern soll.

Beim Strandpavillon an Paal 14, dem Zuid-Zuid-West kehrte ich ein, doch zog es mich bald zurück in die Herberge in Renesse.

Abendessen, Strandspaziergang, Blaskapellen

Duschen. Abendfein machen, was Essen. Das hatte ich mir nach gut 30 Kilometern heute und Wind aus allen Richtungen verdient. Ich wählte zum Abendessen das Restaurant Zeerust, direkt am östlichen Strandaufgang von Renesse. An diesem Gebäude stand einmal der Leuchtturms von Renesse, der 1916 abgerissen wurde. Im Zeerust gibt es verschiedene vegetarische Gerichte, wobei ich vermutlich mit den Tortillas keine gute Wahl getroffen habe. Geschmacklich in Ordnung, aber sie liegen mir drei Stunden später, da ich dies jetzt schreibe, noch schwer im Magen. Vielleicht sind es aber auch die Drops oder der Wein. Wer weiß. Der Verdauungsspaziergang am Strand nach dem Abendessen hingegen war wohltuend.

Abendlicher Strand in Renesse
Abendlicher Strand in Renesse

Bereits am Strand vernahm ich die Signale: Blasorchester sind in der Stadt. Am ganzen Wochenende ist das Festival by the Sea, ein treffen niederländischer Blaskapellen. Für Stimmung ist dabei gesorgt. Auf dem zentralen Platz in Renesse ist eine Bühne aufgebaut und ein großes Zeltdach gespannt. Durch das offene Fenster meines Hotelzimmers dringen noch die fröhlichen Klänge hinein, mal Samba, mal Schlager, alles von I will survive bis Halleluhja. Mit Humpa-Humpa-Garantie. Das ist wohl ein niederländisches Phänomen. Außer in Bayern kenne ich kaum Gegenden, wo Blaskapellen so beliebt sind. In Bayern volkstümlich, in den Niederlanden stimmungsvoll. Das Festival unterstreicht auch den Anspruch von Renesse, ein Urlaubsort zu sein, an dem etwas geboten wird.

Der sportliche Teil der Reise ist damit erledigt, morgen wird etwas für die Bildung getan: Museumsbesuche rund um das Thema Wasser.

Erkenntnis des Tages

Bereits heute gab es eine Erkenntnis des Tages: die Doppelnamen der Inseln im Scheldedelta, also Schouwen-Duivenland sowie die nördliche Nachbarinsel Goeree-Overflakkee sind entstanden, da im Zuge der Eindeichungen mehrere Inseln zu einer vereinigt wurden. Schouwen ist der westliche Teil, Duiveland eigentlich nur ein kleinerer Teil im Osten der Insel.

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[tds_note]Dieser Artikel entstand im Rahmen des Inseltagebuchs, das ich seit 2017 jährlich auf einer Insel schreibe.
An drei Tagen entsteht ein Artikel zum Tag auf der Insel, abends geschrieben und direkt veröffentlicht.
2018 war ich auf Schouwen-Duiveland im Schelde-Delta. Das sind die Artikel vom ersten und dritten Tag, sowie der zusammenfassende Artikel zum Kurzurlaub auf Schouwen-Duiveland.
Bisherige Inseltagebücher:
2017 Ameland
2018 Schouwen-Duiveland
2019 Vlieland
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