Inseltagebuch Vlieland – Teil 3: den Westen entdecken, Fahrradtour und eine Sandwüste

Bekanntes und Unbekanntes
Der dritte Tag auf Vlieland, der zweite davon komplett. Waren bis gestern noch fast alle Wege neu, war hinter jeder Kurve unentdecktes Land, so fügten sich heute bereits einige Puzzlestückchen zusammen. Die Radwege hinter dem Dorf verbanden sich und ich konnte mir auch erklären, welcher Fußweg zu welchem Strandaufgang führen musste.
Und doch entdeckte ich heute noch mal eine ganz neue Welt. Bisher hatte ich das östliche Ende der Insel, in dem das Dorf liegt, oder auch das ‚Dorp‘, wie Oost-Vlieland auf allen Wegweisens ganz sympathisch und einfach bezeichnet wird, noch nicht verlassen. Der Westen stand heute gleich zweimal auf dem Programm. Zunächst mit dem Rad, später mit einem geländetauglichen Bus, wohl einem umgebauten Bundeswehr Mannschaftswagen mit acht großen Rädern, die sich durch den Sand wühlen konnten. Davon aber später mehr.
Sanfte Hügel auf und ab – Radweg durch die Dünen
Der Vormittag gehörte dem fiets. Es war bereits spätsommerlich warm und sonnig, ein leichter Wind wehte über die Insel, als ich mein Leihfahrrad am Hotel bestieg. Die entscheidende Frage vorab, ist die der passenden Kleidung, gerade in der Zwischensaison. Ich entschied mich für kurzes Hemd, lange Hose und Halstuch. Das war auf den sonnigen Streckenabschnitten zu warm, auf Wegen im Wald aber gerade richtig. Das Halstuch konnte ich schnell abstreifen und im Wald wieder anlegen, mich so an die unterschiedlichen Bedingungen anpassen.
Oost-Vlieland ist von einem typischen Küstenwald umgeben, hauptsächlich lichter Fichtenwald mit einigen Eichen, wenigen Birken und auch Silberpappeln durchsetzt. Doch schon bald erreichte ich die endlos weite Dünenlandschaft. Geschwungene Wege, leicht hügelig, durch Strandrosenbüsche (die ich immer Strandrosen nenne, die botanisch aber Kartoffelrosen sind, die mit den dicken Hagebutten, die in der Blüte so wunderbar duften). Mit kleinwüchsigen Nadelbäumen, mit Sanddorn und Heidekraut, dazwischen Sandhügel mit Dünengras bewachsen. Der Weg ist mit dem weißem Muschelsand belegt, den ich aus der Küstenregion und den anderen Watteninseln kenne.

Die Magie der Landschaft in der Nähe des Meeres
Doch in seiner ganzen Magie ist diese Landschaft kaum zu beschreiben. Auch nicht das Glücksgefühl das mich in solch einem Moment, wenn ich mit dem Fahrrad durch die Dünen gleite, durchströmt. Es ist eine Landschaft, die ich von Kindheit an kenne, die ich so ähnlich bereits auf Texel, auch in der Nähe von Noordwijk durchradelt habe. Und jedes Mal erneut haut es mich um.
Der salzige Duft des Meeres, der in Wellen vom Meer herüber geweht wird, der erdige Duft des Sandes, der aromatische Duft des Harzes der Nadelwälder, die mit Heu ausgelegte Wege, das Grün, das Beige, der Sand, das Blau des Himmels, und wenn sich dann der Blick zwischen zwei Dünen aufs Meer öffnet. Da will das Herz überlaufen, da will ich sagen, hier bin ich glücklich, hier bleibe ich!
Es fühlt sich beinahe so an, wie ganz frisch und glücklich verliebt zu sein. Doch glücklich nur deshalb, weil es geheim ist, man sich noch niemandem anvertraut hat. Weil man das Glück noch nicht auf die Probe stellen möchte, sondern erst ganz alleine für sich genießen möchte. Denn es ist gewiss, dass, sobald ausgesprochen, das Glück auch schon vorbei sein könnte. Auch dieses jähe Ende droht dem Glück des Reisens, denn es ist kaum wiederholbar und der Tag der Abreise steht immer kurz bevor.
Planen muss sein, doch schränkt es auch ein
Einen kleine Haken hatte mein Glück, denn ich hatte wohl zuviel geplant für diesen Tag. Das ist hin und wieder sinnvoll, will man bestimmte Abenteuer im Urlaub gerne erleben. Doch beeinträchtigt jegliche Planung auch den restlichen Tag, der auf ein Event hin abgestimmt werden muss. Mein festes Date für heute war um 13 Uhr mit dem Vliehors Expres. Daher richtete sich mein Blick immer wieder auf die Uhr sowie auf die Kilometerschilder vom Dorp. Bei jeder Pause, zum Landschaft aufsaugen oder zum Fotografieren, tickte die Uhr mit, die mir sagte, Oli, komm nicht auf dem letzten Drücker! Du musst vorher auch was essen, vielleicht nochmal ins Hotel, also hopp!
Ein bisschen hopp ging es dann auch, doch 16 Kilometer in zwei Stunden, da bleibt genügend Zeit zum Blick nach hier und dort. Der liebe Freizeitstress.

Mit dem Geländebus ans Westend von Vlieland
Ja, ich war noch im Hotel, denn um die Mittagszeit wurde es deutlich wärmer. Also entschied ich mich für den Nachmittag für eine kurze Hose. Das Essen ging fix, irgendetwas mit ’speciaal‘ im Dorfimbiss.
Um 12 Uhr 50 erreichte ich den Strand, wo ein gelbes, geländetaugliches ehemaliges Militärfahrzeug bereits auf mich und 49 weitere Entdeckungsreisende wartete. Wir fuhren 18 Kilometer über den Strand, die erste Hälfte davon entlang des Dünengürtels, die zweite Hälfte auf der ‚Sahara des Nordens‘. Die westliche Hälfte der Insel Vlieland, das Vliehors, besteht komplett aus Sand. Und zwar sehr viel davon: das Vliehors ist eine 20 Quadratkilometer große Sandfläche, die größte in Nordeuropa. Es ist zudem auch ein militärisches Schutzgebiet und darf nur am Wochenende betreten werden, Ausnahmen gelten für den Vliehors Expres.
Es war eine beeindruckende Fahrt mit einigen Turbulenzen und Akkordeonbegleitung mit niederländischen Stimmungshits.

Zum Greifen nah: der Leuchtturm von Texel
Am Westzipfel von Vlieland, bis zu dem wir etwa 45 Minuten brauchten, machten wir den ersten Halt der Reise. Von hier war der Leuchtturm von Texel zum Greifen nahe. Die beiden Inseln trennen gerade mal ein Strom von 1,5 Kilometer Breite. Wie oft stand ich schon auf der anderen Seite, habe nach Vlieland herübergeschaut und gesagt, da möchte ich aber auch mal hin! Heute war der Tag gekommen.
Ein Fernglas machte die Runde, denn auf einer Sandbank im Wattenmeer ruhten einige Seehunde.

Früher Rettungshaus, heute Strandgutmuseum: das Juttersmuseum ‚Het Reddingshuisje‘
Auf dem Rückweg besuchten wir ein ausgedientes Rettungshaus, ein Holzhaus auf Stehlen, einige Meter über dem Sand. Es stand bis 1953 für in Seenot geratene Seeleute als Notanlaufpunkt bereit. Heute ist dort das Juttersmuseum ‚Het Reddingshuisje‘ untergebracht, das in dieser unwirtlichen Umgebung wie eine Oase aus Strandgut erscheint. Die großen Teile sind außen aufgestellt, Planken, Schutzhelme, Bojen, Fischereinschüsseln, viel buntes Plastik. Das Haus selbst, es passten etwa 20 von unserer Reisegruppe sehr eng an eng hinein, beherbergte von der Flaschenpost über Petroleumlampen und Modellflugzeuge bis zum Babyschnuller allen möglichen Kleinkram, den das Meer hier anspült.
Besonders: der Vliehors Expres malte mit den hinteren zwei seiner acht Reifen Gedichte auf den Strand von Vlieland. Die Schriftzüge waren mit in den vergangene Tagen bereits aufgefallen, nun konnte ich sie zuordnen. Wenn ich dem Akkordeonspieler, der auch unser Reiseführer war, glauben schenken darf, wobei ich mir aber keineswegs sicher bin, dann wird jährlich ein Gedichtwettbewerb ausgeschrieben und das schönste Gedicht wird ein Jahr lang mit einem neuen Reifensatz in den Sand gemalt (nach Recherche so als zutreffend bestätigt).

Langsamer Abschied von der Insel
Der Nachmittag ließ mir noch Zeit für eine Joggingrunde um die östliche Nase der Insel. So habe ich heute, zunächst im Vliehors Expres und später auf Laufschuhen, fast den ganzen Strand der Nordseeküste von Vlieland bereist. An der Ostspitze fand ich einmal mehr bemerkenswert, wie nah die Schiffe in ihrer Fahrrinne dem Strand kommen. Die Fähre ‚Vlieland‘ kreuzte gerade den Strand, als ich noch einige hundert Meter vom östlichsten Punkt der Insel entfernt war. Es wirkte beinahe so als glitte die Fähren über den Strand.
Hatte ich gestern noch beide Nachbarinseln von einem Punkt aus sehen können, so habe ich mich heute beiden maximal genähert.
Am Abend begann der langsame Abschied von der Insel. Fahrrad abgeben, am Hafen sitzen und melancholisch auf das Wattenmeer schauen. Die Dorfstraße hinunter und wieder zurück laufen, mir dabei das gastronomische Angebot der Restaurants anschauen. Wieder am Hafen angelangt, entschied ich mich für eine der Gaststätten dort. Vor allem, da die Abendsonne den Platz noch erhellte. Die Dorpstraat, etwas eng und dicht mit Bäumen bepflanzt, wirkte bereits deutlich dunkler, als dieser zum Wattenmeer hin offene Platz am Hafen.

So genoss ich mit Blick auf das Wattenmeer meine Vega-Burger und ein Texels Skuumkoppe, ein Bier, das so heißt, wie die Texelaner den weißen Schaum nennen, der bei starkem Wind von den Wellen erzeugt wird und über den Strand geweht wird. Interessant, aber der hat ja tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Bierschaum der festeren Sorte.
Morgen geht es gegen Mittag wieder zurück aufs Festland. es sei denn ich finde bis dahin einen zwingenden Grund, doch hier zu bleiben.
Fazit des Tages: Pedal- oder Motorkraft, beides bringt Dich nach Westen. So oder so, die Orte sind magisch.
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