Oranje buiten – ohne Holland zur WM

Und wenn ich in diese Titelzeile ‚ohne Holland …‘ schreibe, dann etwas traurig, ganz ohne Häme. Denn ich hätte mich auf eine WM 2018 mit Holland/Oranje/der elftal/der niederländischen Fußballnationalmannschaft sehr gefreut. Doch. Ganz ehrlich.
Fußball ist ein Gebiet, auf dem man gern seine Parteilichkeit, seine Schadenfreude ausleben kann. Die erfolgsverwöhnten Deutschen sind ja schnell mit der Ätschenase dabei, wenn die Nachbarn im Westen nicht mit zum Turnier kommen. ‚Ohne Holland fahren wir zur WM‘, wer kennt es nicht. Selbst für viele Hollandliebhaber/innen die Land und Leute und patat speciaal über alles lieben, hört diese Liebe auf, wenn gegen die Lederkugel getreten wird. Eher für -haber als für -innen, das ist denke ich eher ein männliches Phänomen.
Doch ich? Nein! Ich genieße im Fußball auch Momente der Schadenfreude, aber meist in anderen Fällen. Beispielsweise Bayern München oder Schalke 04. Aber: ich sehe lieber Holland bei der WM, als die Schweden mit diesem superarroganten Ibrahimovic (spielt der eigentlich noch?) und auch lieber als diese eitlen Franzosen und sowieso lieber als Italien, England, Österreich, Moldawien und Luxemburg. Aua, Luxemburg, da treffe ich einen wunden Punkt. Und warum heißt es beim Fußball immer Holland und wann muss man Niederlande sagen? Aber der Reihe nach.

Tausche van der Kerkhof gegen Benny Wendt
Meine Liebe für die Niederlande, Stammgäste auf diesem Blog wissen es möglicherweise bereits, fing im Alter von zwei bis drei Jahren an. Im Bollerwagen in Decken eingehüllt am Strand von Texel, meine Eltern vorweg. Meine Sympathie für den niederländischen Fußball fing direkt mit meiner Fußballsozialisation an. 1978, Argentinienbilder. Ich war 9, fast 10. Wir tauschten auf dem Schulhof. Hast Du die van-der-Kerkhof-Brüder? Cool! Cool sagten wir damals natürlich nicht. Vielleicht astrein! Geil gab es auch noch nicht.
Ich kann mich an einige deutsche Spieler erinnern, Rainer Bonhof, Hansi Müller, mehr weiß ich schon gar nicht mehr. Ich glaube Sepp Meier war noch im Tor. Oder schon Toni Schumacher? Dann diesen Mexikaner mit der stattlichen Haarpracht! Und einen Schweden, ich glaube Benny Wendt, den fanden wir toll, weil er in der Bundesliga spielte. Aber meine Favoriten waren René und Willy van der Kerkhof. Ich weiß nicht mehr weshalb, vermutlich wegen des Namens. Ich denke nicht, wegen der Frisur.
An die Spiele der WM erinnere ich mich kaum. Natürlich schaute ich in erster Linie die Spiele der deutschen Mannschaft, mit meinem Vater zusammen. Wenn Holland spielte hatte ich sicherlich keine Ausrede um länger aufzubleiben. Ein ganzes Spiel zu sehen, fand ich wohl auch langweilig. Bilder sammeln interessierte mich mehr.
Die 1970er – das goldene Jahrzehnt für Oranje
Die 1970er Jahre waren auch die erfolgreichsten Jahre der niederländischen WM-Geschichte. 1974 im Endspiel unterlegen, neutrale Beobachter werden sagen, der eigentlich verdiente Weltmeister. 1978 ebenfalls im Endspiel, in beiden Jahren dem Gastgeber, 1974 Deutschland und 1978 Argentinien unterlegen. 1974 hieß der Trainer Rinus Michels, Spielmacher war der legendäre Johan Cruyff und das revolutionäre Spielsystem nannte sich totaalvoetbal, ein System, bei dem alle Positionen je nach Spielsituation nachrücken und rotieren. Der Kern der Mannschaft blieb auch 1978 unter dem niederländisch-österreichischen Trainergespann Jan Zwartkruis/Ernst Happel bestehen. Einzig Johan Cruyff fehlte angesichts einer versuchten Entführung seiner Familie in Barcelona 1977.
Zwischen 1938 und 1972 mussten die Niederlande bei sechs Weltmeisterschaften und allen vier bis dahin stattfindenden Europameisterschaften zusehen.
Europameistertitel 1988 und Jahre der Kontinuität
Nach drei verpassten Turnieren zu Beginn der 1980er Jahre schaffte eine neue geformte elftal um Ruud Gullit, Frank Rijkaard, die Koeman-Brüder und Marco van Basten erneut unter Trainer Rinus Michels die Turnierqualifikation für die EM im Nachbarland. Ausgerechnet in Deutschland gelang Oranje der einzige internationale Titel: im Endspiel gegen die Sowjetunion am 25. Juni 1988 in München. Die Niederlande siegten 2:0 durch Tore von Gullit und van Basten, Torwart van Breukelen parierte einen Elfmeter, der den Anschlußtreffer nach rund einer Stunde bedeutet hätte. Ein besonderes Schmankerl: im Halbfinale wurde Gastgeber Deutschland in Hamburg mit 2:1 besiegt. Ein dramatisches Spiel: nach zwei Elfmetern zum 1:1 Zwischenstand gelang Marco van Basten in der 88. Minuten das 2:1.
Ich gebe zu, da waren mit die Niederländer nicht sympathisch. Da ist das Hemd doch näher als die Hose. Dennoch: Titel und Sieg über die UdSSR von Herzen gegönnt.
Bis 2014 sollten die Niederlande nur bei einem Turnier, die WM 2002 in Japan und Südkorea, von daheim zuschauen müssen.
Der Fall Lama: Frank trifft Rudi
Eine besondere Wunde hat natürlich das Jahr 1990 und die WM in Italien in der nachbarschaftlichen Beziehung zwischen den Niederlanden und Deutschland hinterlassen. Deutschland trifft als souveräner Sieger der Vorrundengruppe im Achtelfinale auf die Niederlande, die sich mit drei Unentschieden als Gruppendritter so gerade durch die Vorrunde gerettet hatten. Ganz sicher eins der dramatischsten Länderspiele, an die sich die meisten Fußballinteressierten in beiden Ländern erinnern können. Das vor allem aufgrund des Duells Rudi Völler mit Frank Rijkaard. Es wurde gespuckt, am Ohr gezogen, vom Platz gestellt, sich beschwert und wohl auch dramatisch gejammert. Männerfußball eben. Beide sollen sich inzwischen wieder vertragen haben. Deutschland nutze die Unruhe nach zwei Platzverweisen besser als die elftal und gewannn 2:1. Holland flog nach Hause, Deutschland wurde zwei Wochen und drei Spiele später Weltmeister.
Favorit ohne Titel
Elfmeterpech prägte die folgenden Jahre der niederländischen Nationalmannschaft. 1992, 1996, 1998 und im eigenen Land 2000 fiel die Entscheidung stets nach der Verlängerung: zu Ungunsten der elftal. Auch wenn Oranje einige Male als Favorit ins Turnier ging, konnte kein weiterer Titel errungen werden.
Besonders ist mir die WM 2010 in Südafrika in Erinnerung. Sowohl Deutschland, als auch die Niederlande wurden erster in ihrer Vorrundengruppe, Deutschland besiegte Argentinien im Viertelfinale, die Niederländer schalteten eben dort Brasilien aus. Im Halbfinale unterlag Deutschland Spanien, die Niederlande mit Wesley Sneijder, Arjen Robben und Giovanni van Bronckhorst besiegte Uruguay mit 3:2. Im Endspiel hoffte ich auf die kleine Revange, doch die effektiven Spanier siegten zum vierten Mal mit 1:0 und wurden gegen das Oranje-Team erstmals Weltmeister.
2012 folgte unter Trainer Bert van Marwijk die schlechteste aller Turnierbilanzen: Vorrundenaus mit drei Niederlagen gegen Dänemark, Deutschland und Portugal. Bei der WM 2014 in Brasilien wurden die Niederlande dritter, es gelang ein 3:0 gegen Gastgeber Brasilien, die allerdings von der 7:1 Halbfinalniederlage gegen Deutschland schon angeschlagen waren.
Ohne Holland …
Seit dem hieß es zwei Mal ‚ohne Holland fahren wir zur EM/WM‘. Ich bedaure es sehr, und hoffe, der elftal bei der nächsten EM wieder die Daumen drücken zu können. Jedenfalls solange es nicht gegen Deutschland geht. Hemd und Hose und so. Ihr versteht mich.
P.S.: Mit dem wieso, weshalb, warum im niederländischen Nationalteam kenne ich mich nicht so gut aus, das haben andere aber schon ausführlich und lesenswert analysiert.
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