Piepschuim

Vom Kreidequietschen …
Es gibt Geräusch, die dringen durch Mark und Bein, sagt man. Die lassen die Fingernägel krümmen, die machen eine Gänsehaut. Die sind schrill, quietschend, nervtötend. Wir erinnern uns alle, an Kreide, die auf der Schultafel im Moment höchster Konzentration oder tiefsten Schulschlafs so ein Quietschkratzen erzeugte, wenn ein hartes Korn in der Kreide eingeschlossen über den grünen Tafellack kratzte. Der Lehrer drehte sich dann gerne grinsend zur Klasse um, die Lehrerin erschrak selbst am meisten und die halbe Klasse heulte auf. Irgendwie waren es in meiner Erinnerung die Lehrerinnen, die sich erschraken und die Lehrer, die grinsten, seltsam. Mir machte es meist nicht so viel aus, aber die halbe Klasse kreischte.
… und von Quietschpappe
Ein anderes schönes Geräusch erzeugt Styropor, wenn es gegeneinander gerieben wird. Manchmal bereits, wenn es ganz eng in einer Verpackung sitzt, das geschützte Gerät fest einschmiegend und man sucht den passenden Winkel um Gerät samt Schutzverpackung aus dem Karton zu zerren. Dann quietscht es, leise gegen den Karton. Laut quietschte es, wenn ich es in jungen Jahren zu packen bekam. Ich rieb zwei große Stücke gegeneinander, so lange bis die kleinen Kugeln über den Teppich verteilt waren.
Styropor heißt es also, dieses schön-hässlich klingende Material, der Fachbegriff lautet Polystyrol. Meine Frau nannte es einmal Quietschpappe und war ganz erstaunt, dass ich den Begriff nicht kannte. Meine Frau kommt aus Sachsen, also könnte es ein regionaler Begriff oder DDR-Sprech sein. In meiner Westsozialisation in Nordrhein-Westfalen, auch während des Studiums in Berlin, ist mir der Begriff Quietschpappe niemals begegnet. Das kann ich kaum nachvollziehen, denn es ist ein wundervoller sprechender, um nicht zu sagen quietschender, Begriff. Styropor, noch mehr Polystyrol ist Technik, Quietschpappe literarisch bis poetisch.
Zum Piepen: piepschuim
Nicht allzu lange her ist eine Begegnung mit einer weiteren wunderschönen Bezeichnung für den künstlichen Dämmstoff. Im Niederländischen wird dieser nämlich hoch offiziell mit piepschuim bezeichnet. Piepschuim! Ich war gleich entzückt und ein wenig verliebt in dieses schöne Wort. Es gibt auch den technischen Begriff im Niederländischen als Alternative: polystyreen. Doch wirklich gebräuchlich scheint piepschuim zu sein.
Neulich im Baumarkt:
Wo finde ich denn den Piepschaum?
Man stelle sich folgende Situation vor: Kundin/Kunde im Baumarkt fragt Fachverkäufer/in: „Wo finde ich denn den Piepschaum?“ Zum Piepen!
Danke Holland für diese schöne Sprachschöpfung.
Oli – einfach herrlich! Wieder ein Lieblingswort der niederländischen Sprache! Ich liebe es! Und passender könnte man doch Styropor nicht nennen!!! Ich mach mir demnächst mal den Spaß und geh nach OBI und frage nach Piepschaum… ;-)))))
Dir und Deinen Lieben ein schönes Wochenende!
Lony
… da bin ich auf einen Bericht gespannt! Am Niederrhein könnte der niederländische Begriff im Baumarkt vielleicht sogar bekannt sein.
Danke Lony, auch ein schönes Wochenende für Dich, mit fietstocht nach NL?
Bei der wörtlichen Übersetzung „Piepschaum“ mußte ich an meinen alten Priester aus Kindertagen denken, ein niederländischer Steyler Missionar. Früher hatten die Niederländer ja so viele Priesterberufungen, daß sie ihre Geistlichen „exportieren“ konnten. Und unser Pfarrer war bekannt für seine wortwörtlichen Übersetzungen aus dem Niederländischen ins Deutsche und für seine Liebe zu den „false friends“. Gut, uns Meßdienern war natürlich schon früh klar, daß er unter „aandacht“ etwas anderes verstand als wir unter einer „Andacht“. Ebenso, daß wir bei der Wandlung nicht wirklich „bellen“, sondern klingeln sollten. Aber vor allem bei seinen ersten Beerdigungen ging ihm einiges daneben. Es dauerte lange, bis er die Unterschiede erkannte zwischen der niederländischen „uitvaart“ und einer deutschen „Ausfahrt“, die dann bei ihm auch mal zum „Ausflug“ geriet. Mitunter verwechselte er aber auch nur 2 Wörter auf Grund ihrer Klangähnlichkeit: die „plegtige“ uitvaart („feierliche Beisetzung) geriet bei ihm so zur „prächtigen Ausfahrt“. Da er die niederländischen Begriffe für „Sarg“, also „kist“, „doodskist“ und „uitvaartkist“ unbekümmert ins Deutsche übersetzte, hörten wir dann „er liegt so friedlich in der Kiste“ oder daß wir nun die „Totenkiste“ oder die „Ausfahrtkiste“ zum Friedhof begleiten sollten. Einem Pfarrangehörigen attestierte er, dieser sei schon seit Jahren „völlig doof“ („doof“=taub) oder er ließ er uns schon mal in Predigten wissen, etwas sei seine „rotzfeste Überzeugung“ („rotsvast“=felsenfest). Ich habe allerdings immer den Verdacht gehab, daß er zumindest in späteren Jahren an solchen Sachen auch richtig Spaß hatte… Er hatte da so ein Zwinkern in den Augenwinkeln, und zumindest Sätze wie „Der heilige Ignatius und seine Kumpane“ konnte man nicht mehr auf eine falsche Übersetzung aus dem Niederländischen zurückführen…
Mir kamen aber noch zwei nette Wörter in den Sinn aus einer anderen niederdeutschen Sprache: dem Afrikaans in Südafrika, wo ich vor Jahren mal eine zeitlang gearbeitet hatte. Auch wenn es kaum ein U-Bahnnetz in Südafrika gibt – aber das afrikaanse Wort ist so hübsch: „moltrein“, also ein „Maulwurfszug“. Und ein afrikaanser Arbeitskollege zitierte gerne ein Wort, von dem ich nie erfahren habe, ob es sich wirklich um ein gängiges afrikaanses Wort oder um eine humorvolle Neuschöpfung handelt. Und zwar für das im Englischen ja auch schon eher historische „pin up girl“: eine „prikkelpoppie“.
Danke, Uli, gerade bin ich rotzfest begeistert. Schöne Beispiele für das niederländisch-deutsche Sprachenwirrwarr. Dem Maulwurfszug und der Prikkelpuppe muss ich wohl mal nachgehen … 🙂