Yentl en de Boer - De snoepwinkel is gesloten - Copyright Thijs Meuwese en Daan Colijn
Yentl en de Boer – De snoepwinkel is gesloten – Copyright Thijs Meuwese en Daan Colijn

Musikalisches Kabarett „De snoepwinkel is gesloten“ des „musikaal absurdistischen cabaretduo“ Yentl en de Boer.

Foto Slider: Lieke Romeijn

Roter Teppich im geschlossenen Süßwarenladen

Ein Samstag Abend im Theater in Schiedam, Südholland, vor den Toren von Rotterdam, der moderner Theatersaal  mit rund 700 Zuschauern ausverkauft.  Die Bühne ist deutlich größer, als ich es für ein Kleinkunstprogramm erwarte, übergroße Lollies und Lakritzbonbons, ein Häuschen mit Smarties an Türen und Fenstern sind das Bühnenbild, gemeinsam mit dem Flügel. Es gibt „De snoepwinkel is gesloten“ (Der Süßwarenladen ist geschlossen) ein absurdes Musikkabarett mit dem Duo Yentl en de Boer, das sind Yentl Schieman und Christine de Boer.

Theater Schiedam - roter Teppich für Yentl en de Boer
Theater Schiedam – roter Teppich für Yentl en de Boer

Der umfassende Bogen des Abends ist „Hexe trifft Mädchen“. Ein Mädchen (Schieman) geht suchend durch den Bühnenwald, schon kommt eine gebückte Frau (de Boer) mit zittrigen Händen aus dem Haus.

„Komm doch rein.“

„Lieber nicht.“ …

Diese Begegnung wird – in Varianten – mehrfach zu sehen sein.

Yentl en de Boer -de snoepwinkel is gesloten - foto Jaap Reedijk
Yentl en de Boer – De snoepwinkel is gesloten – foto Jaap Reedijk

Neben der großen Geschichte über Märchen, Elfen und Zauberwesen gibt es die kleinen Begebenheiten. Sie erzählen von Gesellschaft, Freundschaft, Kommunikation und darum, dass ich mich auch um mich selbst kümmern muss.  Schutz oder Egoismus? Es geht um „Lass Dich nicht zulabern, wenn Dir jemand sagt, Du wärst müde“, um „Hörst Du ihr eigentlich zu, wenn Du Dich mit ihr unterhältst?“ und um „Hey, das ist mein Ding, mach nicht deins draus!“.  Ach ja, auch um schräge Kerle, äußerst schräge …

Dabei bekommt das Publikum häufig den Spiegel vorgehalten, auch schmerzhaft. Ja, es darf weh tun, denn es ist Kabarett.

Luisterliedjes und Videos auf youtube

Doch zunächst ein paar Wochen zurück. Ich bin im Niederländischen ja kein Muttersprachler. Ich habe vor 20 Jahren Mal einen Unikurs Niederländisch besucht, den Rest während eines Studienjahres in Amsterdam gelernt. Durch Zeitungslektüre, mit Podcasts und niederländischen Liedern, am liebsten auf youtube, halte ich meine Sprachkenntnisse frisch. Ich hatte über die Jahre so meine Favoriten, doch da muss mehr sein! Lieder mit kunstvollen Texten, gibt es im Deutschen doch auch.

Ein großer mir noch unbekannter Liederschatz tat sich ganz plötzlich auf, als ich den Tipp bekam nach „Luisterliedjes“ zu suchen, dort gezielt in Richtung Singer-Songwriter.

Das Wort „bed“ hat die Form von einem Bett!

Schnell fand ich ein wundervoll hypnotisierendes, zugleich einfach komponiertes Video zweier beeindruckender Musikerinnen. Sie spazieren, jede für sich, in einer Bildhälfte, durch Amsterdam und singen wie nebenbei ein Lied über Begegnungen mit Männern. Vor allem über deren Ticks und unnützes Wissen. Schräge Typen oder typisch Mann? Der eine kennt sich aus mit Bioethanol, der andere mit Ironman, Camembert, irischem Whiskey oder er erzählt den ganzen Abend über das Wort „bed“. Aber irgendwann, schon klar: dann kommt der Eine …

Praktisch für Sprachlerner wie mich: das Video bringt den Text in Form von Untertiteln schon mit. Den hätte ich so schnell gar nicht verstanden. Für das Lied „Ik heb en man gekend“ wurden Yentl en de Boer 2014 auf dem Kleinkunstfestival Amsterdam mit dem Annie M.G. Schmidt-Preis (Nach der Autorin von Jip en Janneke) ausgezeichnet und sind seit dem kein Geheimtipp mehr.

Nach dem fünften Ansehen war ich neugierig und bereit weiterzustöbern. Und fand reichlich, zum Beispiel:

„Heel lang geleden“:

Heel lang geleden,
Was niets wat het leek, de bonen in de moestuin waren geld
En je gehaktbal, was een planeet, waar je heen vloog en verliefd werd op een held

Vor langen Zeiten
War nichts das was es schien, die Bohnen im Garten waren Geld
Die Frikadelle war ein Planet, auf den Du flogst und Dich verliebtest in einen Held

… der Prinz kam tatsächlich, war allerdings beziehungsunfähig. Dumm gelaufen.

Damit sind die Thema des Cabaretduos grob umrissen: Mädchen mögen Märchen und Männer sind schräge Typen. Bei Begegnung: Katastrophe. Als Mann kann ich mir zum Glück immer sagen, ‚ha, so schlimm bin ich nicht!‘

Ich klickte mich durch Talkshowbeiträge und durch Sommeropenairkulturprogramme. Respekt: Im Juni 2015 entstand auf der Nordseeinsel Terschelling für die Kultursendung Opium op Oerol an mehreren Tagen je ein neues Lied, inspiriert durch die Begegnung mit den Zuschauern vor Ort. So wie Improtheater mit etwas Anlauf.

Kraftvolle Lieder und kunstvoller Zweiklang

Was macht den besonderen Charme des Duetts aus? In ihren Liedern steckt eine enorme Kraft, die Stimmen harmonieren perfekt, ein glockenklarer Sopran von Christine de Boer und eine sonore Altstimme von Yentl Schieman, die in kunstvoller Zweistimmigkeit wie ein ganzer Chor klingen können.

Die Texte  drehen sich oft um banale Dinge, doch im großen Bogen ergeben sie bewegende oder amüsante Geschichten. Yentl en de Boer nennen sich absurdes Musikkabarett, etwa im Sinne von: hey, auf so einen Text muss man erst mal kommen. Und vor allem: ihn dann nicht verwerfen.

Der feine Sinn für die Sprache wird auch dem Nicht-Niederländisch-Muttersprachler auffallen, vielleicht nicht gleich beim ersten Hören. Im hohen Tempo klingen die Texte einiger Lieder wie Zungenbrecher, durch den harmonischen Gesang wiederum schwebend leicht.

Timing plus Ironie = Theaterlied

In einem Punkt kommt der Theateraspekt im Genre Theaterlied besonders gut zur Geltung: das Timing. Es sitzt jeder Bogen, jede Nuance und dort, wo es nicht stimmt, ist es ein gezielter Bruch. Schöne Momente entstehen, wenn beide Künstlerinnen einander kommentieren, etwa durch kleine Variationen im Tempo.

Ironie, ohne die geht es nicht, und damit sind wir zurück beim Bühnenprogramm.

Die Hexe und das Mädchen – Freundschaft oder Backofen?

Die Hexe bittet das Mädchen, nennen wir es einmal Gretel, besser Grietje um im Niederländischen zu bleiben, in das Haus. Zum dritten Mal. Sie willigt ein, zieht jetzt sogar freiwillig die Schuhe aus. Es läuft ein Radrennen. „Komm wir schauen zusammen, gleich kommt eine gefährliche Stelle, vielleicht stürzen sie ja alle!“, sagt die Alte.

Yentl en de Boer - De snoepwinkel is gesloten - foto Jaap Reedijk
Yentl en de Boer – De snoepwinkel is gesloten – foto Jaap Reedijk

Ist die Hexe gar nicht wirklich böse, nur einsam und verbittert und sucht freundschaftlichen Anschluss? Die Szenen werden nicht immer aufgelöst, sie geben die Stimmung oder das Setting für das nächste Theaterlied vor. Dabei spielt das Duo seine ganze Stärke, den Schwung und die Musikalität aus.

Bauer sucht Frau, Elfe sucht Wolke, Superhelden suchen Nachbarschaft

Zwei Mädchen, die Fantasyfans sind und als Elfen über Wolken schweben wollen, es aber „ganz okay“ finden, anderen im Spiel die Köpfe einzuschlagen. (Fantasy Fans)

Beim Aussuchen von Superheldenkräften nicht „Eisen verbiegen“ oder „sich in Tiere verwandeln“ auswählen, sondern sich ein Gespür für die Nachbarn wünschen und wenn diese traurig sind, ein tröstendes Fest veranstalten. (Superhelden)

Der Mann, der anfangs Komplimente macht, „Du bist ein Engel, der aussieht wie diese französische Schauspielerin“, später sagt, dass seine Traumfrau, auf die er eigentlich warte, wohl doch nicht mehr komme, also „muss ich wohl zufrieden mit Dir sein.“ (Hij heb tegen me gezegd)

Der unsichere Kerl aus der Sendung „Bauer sucht Frau“, der nur drei Zuschriften bekam. Kein Wunder, ihm gelingt nichts, er ist uncharmant, nicht attraktiv und er kann sein Fahrrad nicht reparieren, weil die Klebetube vertrocknet ist. Oder so. Bitterböse.  Und in einem seltsamen Akzent (Gronings?). Ja, böse sein, mit Genuss, denn … es ist Kabarett, genau. Es wird noch böser: „Wir haben ihm übrigens eine E-Mail geschrieben. Es ist jetzt nicht mehr allein, er hat Esther kennengelernt. Beide sind übrigens hier ….!“ Spontan drehen sich alle im Saal um. … ertappt. (Omdat ik onseker bjen)

… auch mal auf die Bühne, lieber nicht

Das Publikum für einen Moment peinlich berührt zurückzulassen, gehört zum Programm. Während einer längeren Publikumsmitmachaktion auf der Bühne – es wird eine Hilfskampagne für Afrika gegründet, alle gehen auf die Straße und demonstrieren – legen die Darstellerinnen den Freiwilligen schlüpfrige Gedanken in den Mund. Und halten die peinlichen Momente gefühlt einen Tick zu lange aus. Hier hätte ich mir für die Mitwirkenden eine Auflösung gewünscht, mehr als nur ein Dankeschön für’s Mitmachen. Aber hey, (genau): Kabarett.

Der Abschluss war versöhnend und beschwinglich. Er stellte einen weiteren Star des Abends nochmal ins Rampenlicht: eine rosa Gitarre. (Roze gitaar)

Om te leven

Hoef je niet veel meer te wensen
Dan af en toe de lentezon
Een zonnebril op het balkon
Een witbier met citroen
En zo nu en dan een zoen

Een keer een compliment
En een roze instrument

Zum Leben

brauchst Du Dir nicht viel mehr zu wünschen
als ab zu die Frühlingssonne
Mit Sonnenbrille auf dem Balkon
ein Weißbier mit Zitrone
und hin und wieder einen Kuss

irgendwann ein Kompliment
und ein rosa Instrument

Schade, dass sich Zitrone nicht auf Kuss reimt. Mit einem Ohrwurm auf den Lippen (was heißt denn nun Ohrwurm auf Niederländisch, da habe ich noch keine überzeugende Übersetzung für gefunden!) verlasse ich den großen Theatersaal und freue mich, die beiden Damen am CD-Verkaufstisch bereit für ein gemeinsames Foto zu finden. Vielen Dank dafür, helemaal bedankt!

Christine de Boer, Oliver Hübner, Yentl Schieman
Treffen mit den Künstlerinnen, Christine de Boer (l.) und Yentl Schieman (r.)

Zwei Alben auf iTunes: „De Plaat“ und „M’n snoep: Live in het Concertgebouw“

Von Yentl en de Boer sind derzeit zwei Alben erhältlich: „De Plaat“ und „M’n snoep: Live in het Concertgebouw“.

„De Plaat“ enthält Lieder aus dem Bühnenprogramm De Meisjes und aus früheren Produktionen, „M’n snoep“ Lieder aus dem aktuellen Programm „De snoepwinkel is gesloten“.

Affiliate Link: Album „De Plaat“:

Affiliate Link: Album „M’n snoep: Live in het Concertgebouw“:

Lieblingslieder

Lieblingslieder stellen sich als solche oft erst nach häufigem Hören heraus. Zwei davon sind (sagte ich schon, dass ich gern die traurigen Lieder mag?):

Eine melancholische Ballade, „Muziek“ von Christine de Boer über Lektionen des Lebens und dass sie nicht immer im passenden Moment kommen.

Ik snapte pas wat vechten is toen jij al lang had opgegeven
Pas toen ik zingen nodig had is muziek
Voor mij gaan leven

Ich verstand erst was kämpfen heißt, da hattest Du längst aufgegeben
Erst als ich das Singen brauchte, war Musik
für mich lebendig

Und eines, bei dem ich erst beim dritten Hören herausfand, dass es um den an Demenz erkrankten Vater geht, eins der fröhlichsten traurigen Lieder: „Jij zit in mijn hoofd“

Die Texte aller Lieder sind auf der Webseite des Duos zu finden.

Das neue Lied

Yentl en de Boer sind auf vielen Bühnen unterwegs, auch mit unterschiedlichen Projekten. „Het nieuwe lied“ ist ein Zusammenschluss mehrerer Liedermacher/innen, die in wechselnder Besetzung auftreten.

Ein ganz bezauberndes Solostück bei „Het nieuwe lied“ ist von Yentl Schieman: „Liever dat je slaapt“. Dass es keine Liebeserklärung ist, habe ich beim zweiten Hören verstanden.

Fazit:

Die Lieder von Yentl en de Boer sind für alle zu empfehlen, die sich mit der niederländischen Sprache beschäftigt haben und nun tiefer eintauchen möchten. Nach dem zweiten Hören ist auch das Liveprogramm gut zu verstehen.

Aktuell sind Auftritte bis Mai 2017 geplant. Im kommenden Jahr soll es ein neues Programm geben. Ich freue mich drauf.

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Alle Fotos sind dem Presskit auf www.yentlendeboer.nl entnommen oder eigene Aufnahmen.

Alle Videos sind von den Youtube-Kanälen YENTLENDEBOER und Het Nieuwe Lied.