Der verrückteste Grenzverlauf der Welt: Baarle-Nassau und Baarle-Hertog, ein niederländisch-belgisches Mosaik

Baarle-Nassau und Baarle-Hertog, eine Stadt in zwei Ländern
Zum Glück sind Grenzen im heutigen Europa völlig irrelevant. Es sind gedachte Linien, die ich überquere, doch meist bemerke ich es kaum, wenn genau ich sie überquere und ich in ein anderes Land komme. Die Zahlungsmittel sind in den Niederlanden und in Deutschland glücklicherweise auch gleich, ebenso in Belgien. Auch das finde ich positiv, denn es vereinfacht das Reisen doch enorm.
Auf Reisen ist es mir dennoch meistens bewusst, in welchem Land ich mich gerade befinde. Häufig wechseln an einer Grenze auch Baustil und Gestaltung des öffentlichen Raumes. Eine Linie, die zwischen Belgien und den Niederlanden und auch zwischen den Niederlanden und Deutschland meist deutlich feststellbar ist. Häuser, Straßen, auch die Beschilderung, alles sieht etwas anders aus.

Neulich besuchte ich einen Ort, an dem es von diesen gedachten Linien äußerst viele gibt, so viele, dass man sie sogar auf die Straße malt. Es ist eine Gemeinde in der Provinz Nordbrabant beziehungsweise in der belgischen Provinz Antwerpen, die zur Hälfte zu den Niederlanden und zur anderen Hälfte zu Belgien gehört. Allerdings nicht eine nördliche Hälfte und eine Südliche, eher so: mal dieses Haus, mal jenes.
Es gibt dort mitten durch den Ort eine gerade Strecke, die ich laufen könnte und würde dabei nicht weniger als zwölf Mal die Grenze überqueren. Hier gibt es belgische Exklaven, in denen wiederum niederländische Enklaven liegen. Der belgische Teil der Gemeinde besteht aus 22 Stücken. Einzelne Häuser gehören zu dem einem Land, alle Nachbarhäuser zum anderen. Die Grenze verläuft sogar mitten durch Häuser hindurch. Ich besuchte eine Galerie, auf deren Boden der Grenzverlauf markiert ist, sie verläuft mitten durch ein Bild an der Wand.

Die Orte sind das niederländische Baarle-Nassau und das belgische Baarle-Hertog. Selbst der Kirchplatz liegt in beiden Ländern! Die Dorfkirche gehört allerdings ganz zu Belgien.
Teilung seit 1198, offizieller Grenzverlauf seit 1995
Das Ganze ist so kompliziert, dass erst 1995 der Grenzverlauf offiziell festgelegt wurde.
Die seltsame Gebietsaufteilung geht auf einen Tauschhandel aus dem Jahr 1198 zurück. Zum Schutz gegen expandierende Holländer schloss sich der Herrscher von Breda dem Herzog von Brabant an. Für die Abstellung von Soldaten bekam er Land und weitere Gebiete als Lehen zurück.

Der Herzog war gewitzt genug, Parzellen, von denen er Steuern eintreiben konnte, für sich zu behalten, die übrigen bekam der Baron. So entstand der Flickenteppich Baarle.
Der heute belgische Teil ist benannt nach dem Herzog von Brabant, Baarle-Hertog. Der niederländische Teil heißt Baarle-Nassau, da er als Erbe an einen Grafen von Nassau fiel, der Adelslinie, der auch später Wilhelm der Oranier entstammt. Ironie des Schicksals: nun wurde ein Teil des Dorfes doch mit Holland in einem Reich vereint.

Ein Haus, zwei Hausnummern
Die Hauseingänge in Baarle sind je nach Landeszugehörigkeit mit einem Schild in Nationalfarben versehen. Als Orientierungshilfe sind markierende Pflastersteine auf Gehwegen und Straßen eingelassen oder weiße Kreuze aufgemalt.
Es gab Zeiten, da wurden im belgischen Teil des Ortes wöchentlich zwei bis drei Millionen Zigaretten verkauft, wegen steuerlicher Ersparnisse in Belgien. Heute gibt es im belgischen Teil des Ortes noch mehrere Tabakläden, wohl ein Überbleibsel aus der Zeit der Steueroase. Auch gibt es zahlreiche Geschäfte für Pyrotechnik.

Und um die Verwirrung noch zu steigern:
- Eine Haustür hat links die belgische Hausnummer 2 und rechts die niederländische Hausnummer 19.
- Eine ältere Einwohnerin sah sich ihr Leben lang als Belgierin. Als zuletzt neu vermessen wurde, gehörte ihr Grundstück plötzlich zu den Niederlanden. Sie konnte ihre Haustür ein Stück versetzte und wohnte fortan wieder in Belgien.
- Der Ort besitzt nur einen Grenzstein, direkt an der Kirche, es ist der einzige niederländische Grenzstein, der zwei Nummern besitzt, 214 und 215.
In der Snackbar ‚t Engeltje, nicht weit von der Dorfmitte, lernte ich den Unterschied zwischen belgischer und niederländischer Mayonnaise: Belgien mag es säuerlich, die Niederlande lieber süß.
So spektakulär der Grenzverlauf her auch ist, ein Besuch lohnt sich vor allem dann, wenn man gerade in der Gegend ist. Baarle-Nassau liegt rund 100 Kilometer westlich von Venlo und 70 Kilometer südlich von Rotterdam. Tilburg und Breda sind nicht weit und können mit einem Besuch in Baarle verbunden werden.
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Mehr erfahren über den Alltag im Ort: Artikel im HNA
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