Sittard: geselliges Limburg und Deutschlands Westzipfel

Der Herbst war fortgeschritten, die ersten ungemütlichen Tage nach dem Sommer hatte ich muckelig auf dem heimischen Sofa verbracht. Doch ein Samstag lockte noch einmal mit Sonnenschein und angenehmen Temperaturen hinaus zum Ausflug, Sittard war mein Ziel.
Ich hatte länger schon geplant, den Süden der Niederlande zu erkunden. Ich erwählte die historische Festungsstadt, unweit des Westpunktes von Deutschland, der in der Gemeinde Selfkant liegt.
Tief im Westen: der Westzipfel von Deutschland
An einem eher unscheinbaren Bach, dem Rodebach, lieg der westlichste Zipfel Deutschlands. Von Buchenwäldern gesäumte Felder, eine Landstraße, ein Haus hinter hohen Hecken verborgen. Nichts würde auf einen besonderen geografischen Ort hinweisen, wären hier nicht zahlreiche Informationstafeln, Bänke und ein Unterstand.
Das Haus ist das ehemalige Zollhaus an der deutsch-niederländischen Grenze, die hier den niederrheinischen Landkreis Heinsberg von der limburgischen Gemeinde Susteren trennt. Fotos aus der Zeit, als die Grenze hier noch ein echtes Reise- und Handelshindernis war und weitere Dokumente der deutsch-niederländischen Geschichte sind am „Erlebnisraum Westzipfel“ angebracht. Wir sind jenseits des 6. Längengrades: 5° 51,983′ Ost, 51° 3,050 ‚ Nord.

Als ich ankam machte sich gerade eine größere Wandergruppe auf den Weg über die kleine Brücke in Richtung Niederlande. Ein Steg verläuft an der östlichen Seite des Rodebachs, nicht mehr als ein Graben zwischen den Feldern zur Linken und zur Rechten und doch schnurgerade über mehrere Kilometer Grenzfluss zwischen Königreich und Republik. Über den Steg gelang ich zum Besucherbalkon. Dort befand ich mich tatsächlich direkt über dem westlichsten Punkt Deutschlands, oberhalb der Bachmitte. Bis ins Jahr 2015 lag dieser markante Ort hinter der Hecke des Zollhauses, für Besucher verborgen. Eine rote Stele auf dem Balkon, genau am Westpunkt bietet das sichere Wissen, für einen Moment die westlichste Person des Landes zu sein. Fünf Minuten Ruhm sind gewiss!

Eben hier haben die Niederlande auch ihre schmalste Stelle: Es sind gerade einmal 4,8 Kilometer bis nach Belgien, bis zur Maas. Mal ein ordentlicher Grenzfluss.
Genußbummeln in Sittard
Keine fünf Kilometer vom Westpunkt entfernt liegt die Stadt Sittard. Eine der ältesten Städte der Niederlande mit knapp 40.000 Einwohnern. Sittard besitzt eine alte Festung, eine Klosteranlage und einen stattlichen Innenstadtwall. Das ist auf der Ansicht in verschiedenen Onlinequellen gut zu erkennen. Das und die Absicht, mal den Süden der Niederlande zu besuchen, stellte Sittard weit nach oben auf meiner Besuchsliste.
Das erste, was mir auffiel, als ich von Tüddern kommend die Grenze passierte, war die limburgische Schreibweise. Unter dem Ortseingangsschild begrüßte mich ein Weiteres in ‚Zitterd‘. Ich war verzückt. Das sollte nicht die einzige Begegnung mit dem regionalen Dialekt bleiben, der so zwischen Niederländisch und Deutsch angesiedelt ist und mit verblüffenden Umlautdopplungen aufwarten kann.
Ich parkte unweit der Innenstadt, jedoch außerhalb des Stadtringes und musst mich daher nicht um Parkkarten kümmern: zeitlich uneingeschränkt und kostenlos. Sittard begrüßte mich gleich mit einer eindrucksvollen historischen Skyline: die alte Klosteranlage und die beiden Stadtkirchen schimmerten im herbstlichen Gegenlicht. Durch die Parkanlage und die Klostergärten, ein idyllisch hinter Backsteinmauern angelegter, naturnah gehaltener Garten, erreichte ich den Marktplatz. Menschen, Giebelhäuser, der kleine Wochenmarkt, fietsen, einfach gemütlich: so geht Holland – sorry: Limburg!

Das schöne Wetter und die angenehmen Temperaturen lockten viele Gäste auf die zahlreichen terrasjes, die den Marktplatz säumen. Kaum zu glauben, dass das Jahr bereits so fortgeschritten ist: Wir haben November! Bereit gelegte Wolldecken kamen nicht zum Einsatz, die Heizstrahler sollten erst gegen Abend für angenehmere Temperaturen beim Draußensitzen sorgen müssen. An den Ständen des kleine Samstagsmarktes war geschäftiger Trubel. Ich schlenderte eine Runde um den Markt und genoss erst einmal die Atmosphäre. Und die Sonne bei 18°. Der nächste Gruß in regionalem Zungenschlag: Das Restaurant ‚Schtad Zitterd‘. Ich kehrte gleich auf ein Mittagsbierchen ein.
Südländisches Flair
Das Flair von Sittard hat einen Hauch des Französischen: Flandern, selbst der wallonische Teil von Belgien sind nahe. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte Sittard sogar für zwanzig Jahre zum napoleonischen Frankreich, später zu Belgien und seit 1839 zu den Niederlanden. Ganz französisch: gespiesen wird an den reichlich gedeckten Tafeln vor den Gaststätten bei Mittagsmenü und Wein. Vertue ich mich? Ich sehe kaum Imbissbuden, keine Frituur am Markt, und auch weniger Menschen auf dem Fahrrad, als in niederländischen Städten weiter nördlich. Dann doch ein für ‚Holland‘ typischer Gruß: das Pfeifen und Trommeln einer Drehorgel und das Klackern der Münzen in der Sammeldose im Takt.

Geschäftige Altstadt
Viele Straßen in der Altstadt gehören zur Fußgängerzone, die größte Geschäftsstraße ist die Limbrechterstraat, die in die Brandstraat und die Voorstad übergeht. Hier befinden sich Kleidungs- und Schuhgeschäfte, eine große Buchhandlung (mit einer sehr großen Auswahl an Hörbüchern!), Bäckereien und Cafés. Auch ein Dropshop mit gut sortierter Auswahl an Lakritz gehört dazu. Besonders: Cayboo, ein Geschäft für Artikel aus Bambus. Textil, Geschirr und verschiedene Accessoires, die ich in einer Ausführung aus Bambus nicht erwarten würde, sind hier im Angebot.
Ich ging noch weiter in Richtung Bahnhof. Der Steenweg jenseits des Innenstadtringes gehört ebenfalls zur Fußgängerzone, doch wirkte sie trostlos: Die Ladenlokale stehen hier in der Mehrzahl leer. Ich vermute die Konkurrenz um Einkaufsbesucher mit dem nahen Roermond und seinem Outletcenter sind daran nicht unschuldig.

Kunst und Kram – Antikes und Gebrauchtes mit Charme
Das gleiche Phänomen beobachtete ich in der Fußgängerzone zur anderen Seite des Marktes, der Putstraat. Jedoch machte ich hier zwei besondere Entdeckungen: im Vakwerk gibt es eine bunte Auswahl an Kleidung, Kunst, Antiquitäten und Raritäten zu bestaunen. Das Prinzip ist einfach: wer etwas besonderes anzubieten hat, kann sich Platz und Regale im Vakwerk mieten und seine kunsthandwerklichen Produkte, getragene oder selbst geschneiderte Mode und Spielzeuge aus vergangenen Jahrzehnten kaufwilligen Stöbernden präsentieren. Direkt gegenüber hat Werk aan de Winkel überarbeitete, getragene Mode verschiedener Stilrichtungen im Sortiment. Das Stöbern ist hier ebenfalls ein Erlebnis.
Gemütlich zum Kaffee, Schlendern abseits der Pfade
Nach erledigtem Shoppingbummel fand ich mich bereit zum Verschaufen. In der Paardestraat, in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes, kehrte ich in eine äußerst gemütliche und liebevoll eingerichtete Kaffeerösterei, das Mckaela’s ein. Appeltaart, Cappuccino, ah!

Beim Schlendern durch die Gassen der Altstadt entdecke ich das Gruuze-Hüöfke und begeistere mich erneut für den Limburger Dialekt. Zwei Umlaute hintereinander und das bei unseren westlichen Nachbarn! Noch ein Beispiel, das mir die limburgischen Sprachbesonderheiten äußerst sympathisch macht.

Auf dem Abendprogramm stand ein Kinobesuch, leider in einem großen Kinokomplex etwa 2,5 Kilometer außerhalb der Innenstadt. Nach dem Film fuhr ich dennoch zurück ins Zentrum und schlenderte über den beleuchteten Marktplatz. Hier stand eine unerwartet schwierigere Aufgabe an, nämlich eine vegetarische Kleinigkeit zum Abendessen zu finden. Zunächst wollte ich ins Ich&Dich direkt am Markt, klar schon wegen des Namens. Aber nö: nichts Spannendes auf der Karte. Ebenso im Downunder, dem autralischen Spezialitätenrestaurant nebenan. Fündig wurde ich gegenüber im Café Bloem und ließ dort einen wundervollen Tag gemütlich ausklingen.
Sittard: lohnendes Ziel zum Bummeln und Shoppen
Sittard mit seiner historischen Altstadt, seinen lebendigen Einkaufsstraßen und dem großen gastronomischen Angebot ist ein lohnendes Ziel für eine Tagesausflug. Denn es gibt hier gibt viel zu entdecken. Besonders attraktiv ist ein Besuch am Donnerstag, von 8 Uhr bis 13 Uhr ist dann großer Markttag.

Limburgs Musik
Einen guten Eindruck vom Limburgs Akzent gibt dieses Musikprojekt „Gebrouwen in Limburg“ von Rowwen Hèze (ein Lesertipp, vielen Dank), der 500 Musikerinnen und Musiker für die Aufnahme dieses Liedes zusammengebracht hat.
Tipps
Einkaufen
Cayboo – alles aus Bambus – Voorstad 8, 6131 CR Sittard
Vakwerk – Ausgefallenes, Erlesenes, Kunstvolles von zahlreichen Einzelanbietern unter einem Dach – Putstraat 19, 6131 HH Sittard
Werk aan de Winkel – Second Hand aufgepeppt – Putstraat 30, 6131 HL Sittard
Kringloopwinkel BIS-BIS – Gebrauchtes, Möbel, Kleidung, Haushaltswaren –
Gastonomie
Mckaela`s – gemütliche Kaffeerösterei nicht weit vom Marktplatz – Paardestraat 9A, 6131 HA Sittard
Café Bloem – geselliges Café, Restaurant, Bar am Markt – Markt 30, 6131 EL Sittard
Ich&Dich – szeniges Biercafé und Restaurant am Markt – Markt 13, 6131 EK Sittard
Bagels & Beans – Bagels vegetarisch, gemütlich, obwohl eine Gastrokette – Putstraat 4, 6131 HL Sittard
The Duchess – Restaurant im Stadtturm – Gruizenstraat 27, 6131 EH Sittard
Kultur
Museum de Domijnen – Museum für Kunst der Gegenwart und Museum für Archeologie und Geschichte – Ligne 5, 6131 MT Sittard
Umland
Westpunkt – der westlichste Punkt Deutschlands
Oliver, vielen Dank für diesen wirklich interessanten Artikel. Ich stamme aus der unmittelbaren Grenzregion und ein Teil meiner Familie ist limburgisch, darunter auch ein Cousin und seine Familie in „Zitterd“. Und so ist Sittard einer meiner häufigen Anlaufpunkte (nicht zu letzt auch wegen des ganz gut sortierten „Kringloopwinkels“, also des „Second Hand Ladens“ im Milieuparkweg, etwas außerhalb). Aber selbst wenn man denkt, man kennt schon alles – danke für den Tip mit dem „Mckaela’s“, da war ich noch nie!
Was vielleicht unter den Reisehinweisen noch hinzugefügt werden sollte, das sind die beiden großen Innenstadtkirchen: bei mir gibt es keinen Besuch in Sittard ohne einen kurzen Aufenthalt in der Basilika „Onze Lieve Vrouw“ und wenn es geht (da muß man die Öffnungszeiten beachten) in der Sint-Michielskerk direkt am Markt.
Das mit dem „französischen Flair“ ist in der Tat richtig, das gilt übrigens in einem viel stärkeren Maße noch für Maastricht, etwas worauf die Limburger auch nicht wenig stolz sind, wenn sie gerne von „Bourgondisch Limburg“ sprechen. Auch am Markt in Sittard grüßt ja das Schild des „Hotel de Limbourg“. Noch vor 100 Jahren hätte man das noch stärker beobachten können: die bäuerliche Schicht sprach Dialekt, die Mittelschicht Hochdeutsch bzw. Hochniederländisch und die Oberschicht Französisch. Aber im Gegensatz zu der deutschen Grenzregion, in der seit den 1950er Jahren der Dialekt, das „Platt“ durchweg verpönt war und seitdem verschwunden ist, lebt der Dialekt in Limburg, nicht zuletzt auch, weil man sich so von den „Holländern“ absetzen kann. Auf diesen „bäuerlichen“ Dialekt hat man vor allem in den übrigen Niederlanden immer ein wenig herabgesehen, aber die gesamtniederländische Popularität der limburgischen Band „Rowwen Hèze“ hat da auch viel bewirkt.
Zum „burgundischen“ Lebensgefühl paßt auch, daß Limburg eine durchaus bemerkenswerte Weinanbauregion geworden ist: „Apostelhoeve“, „Hoeve Nekum“, „Fromberg“, „Thorn“ und viele andere, die sich nicht zu verstecken brauchen. Vielleicht mal eine Idee für einen weiteren Artikel … der auch dem Verfasser viel Spaß brächte.
Es hat eine Weile gedauert, aber nun habe ich den Kringloopwinkel und ein Musikvideo von Rowwen Hèze in den Artikel eingebaut. Der macht gute Stimmung, danke nochmal für die Tipps!
Hallo Uli,
vielen Dank für den Kommentar und die vielen weiteren Anregungen und Tipps für Sittard. Ich nehme einiges davon direkt in den Artikel auf. Bei meinem nächsten Besuch in Sittard kann ich darauf achten und es auch einmal besuchen.
In der Kirche direkt am Markt war ich sogar, in den größeren Stadtkirchen allerdings nicht. Der Kringloopwinkel klingt in jedem Fall interessant.
Hallo Oliver,
danke für den schönen Bericht! Habe mich Anfang Januar’18 inspirieren lassen und bin auch nach ‚Zitterd‘ gefahren. Günstigerweise ausserhalb geparkt, Innenstadt war sehr nett, der Inhaber vom „Mckaela“ konnte sich sogar noch an dich erinnern, das solltest Du wirklich nutzen 🙂 Leider ist das „ich&dich“ extrem beliebt und war am frühen Nachmittag überfüllt. Ich mag die Mischung aus modernen Geschäften und der historischen Architektur, etwa am Kloster. Ich war sicher nicht das letzte Mal in Sittard, ein Örtchen zum Wohlfühlen 🙂 Beim nächsten Besuch werde ich den Chinesen und ein weiteres Cafe am Markt testen! Und natürlich Kringloopwinkel, schon vorgemerkt.
Danke Bruno,
vor allem dafür, dass Du es hier kommentierst. So weiß ich, dass die Blogartikel zur Reise in die Orte anregen. 🙂
Und bei der Gelegenheit habe ich den Artikel gleich noch etwas aufpoliert und die Tipps eingebunden.
Ich werde ganz sicher auch in diesem Jahr Sittard noch einmal besuchen. Und den Kringloopwinkel.