Rembrandt sagt: fietslezen
Rembrandt sagt: fietslezen

In der Debatte um das Verbot der Handynutzung auf dem Fahrrad, in Deutschland ist es schon länger verboten, in den Niederlanden ist ein entsprechendes Gesetz in Planung, fiel mir ein schönes Wort ein, über das ich vor einiger Zeit gestolpert bin: fietslezen. Back to the roots, ganz analog, weshalb also SMS auf dem Fahrrad checken, wenn ich auch mein Buch auf dem Weg zur Arbeit lesen kann?

Am Wort fietslezen finde ich Zweierlei beachtenswert:

  1. die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, beim Fahrradfahren zu lesen
  2. die Vereinigung von zwei Verben zu einem neuen: fietsen + lezen = fietslezen

Im Niederländischen ist es gebräuchlich, zwei Aktivitäten in einem Wort zu vereinen. Essen und Lesen wird eetlezen, laufen und lesen wird looplezen, fahrradfahren und lesen wird fietslezen, fietsen plus lesen. Hier wäre noch Platz für ein Beispiel ohne lesen, das ich entweder noch suche oder auf einen freundlichen Kommentar hoffen darf.

Jugendlicher Leichtsinn

Nein, ich persönlich tu das nicht. Beim Fahrradfahren lesen. Das wäre in Deutschland auch viel zu gefährlich, lauern doch für Radelnde überall Stolperfallen, unachtsame Autofahrerinnen und Autofahrer und unübersichtliche Kreuzungen.

Allerdings will ich nicht ausschließen, dass ich als Jugendlicher mit dem neuesten Mickey-Maus-Heft von der Bude heimradelnd schon mal in die Fortsetzungsgeschichte hineinlugte. Das wäre aber aus reiner Neugierde gewesen. Und außerdem eine Maßnahme der als Notwehr, gegen die Werbestrategie des Ehapa-Verlages, bereits Kinder mit Fortsetzungsgeschichten zum Kauf der nächsten Ausgabe zu zwingen. Ich wäre dann auf der Fahrbahn einer kleineren Ortsstraße gefahren, rund 500 Meter, bis ich in unsere Siedlung abgebogen wäre. Vermutlich hätte ich auf dem langen geraden Stück das Heft vorsichtig ausgerollt, von hinten aufgeblättert und vorsichtig hineingelugt. Beim Linksabiegen hätte ich es geschlossen, beim Herunterrollen in der Siedlung aber nochmals zur Hand genommen. Ich erinnere mich wie gesagt nicht, ob ich es so tat. Ich hätte das Risiko wohl vertretbar gefunden, aber befürchtet, von mir bekannten Personen ermahnt zu werden und für unverantwortlich gehalten zu werden.

Sinnvoll genutzte Pendelzeit

In meiner Studienzeit in Amsterdam habe ich alle möglichen Dinge entdeckt, die auf dem Fahrrad transportiert wurden. Bierkästen in einer Hand, die Lenkstange an der anderen. Auch fanden problemlos ein bis zwei Mitreisende auf einem Fahrrad platz. Allerdings erinnere ich mich nicht daran, jemals jemanden lesend beim fietsen beobachtet zu haben. Daher kann ich auch nicht einschätzen, wie gebräuchlich es tatsächlich ist. Auch würde ich es eher außerhalb der Stadt verorten.

Dem fietslezen als Konzept bin ich erstmals bei der Lektüre einer niederländischen Zeitung begegnet und fand es sofort einleuchtend. Millionen Menschen pendeln in den Niederlanden täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit, selbst längere Strecken. Morgens fünf bis zehn Kilometer hin, abends fünf bis zehn Kilometer zurück. Das ist nicht unüblich. Die Radwege sind superkomfortabel, zwischen Ortschaften kreuzungsfrei und schnurgerade. Nach einiger Zeit des regelmäßigen Pendelns ist jeder Meter, jede Bodenwelle, jede noch so kleine Kurve vertraut. Was spricht also dagegen, ein Buch zu schnappen, sich auf die Lenkstange zu lehnen und während der Fahrt zu lesen?

Nichts! Außer wenn es regnet, dann würde das Buch nass. Und in Holland regnet es oft und viel!

Das periphere Sehen wird beim fietslezen trainiert, sodass nahende Hindernisse sofort bemerkt werden. Ein gelegentlicher Blick nach oben scannt den kommende Streckenabschnitt. Auch zu stark frequentierte Radweg könnte stören. Überholende oder Entgegenkommende könnten durch plötzliche Schwenker überrascht werden, die der fehlenden Konzentration auf die Strecke geschuldet wären. Hier sehe ich ein Risiko, das ich aber als geringer einschätze, als während der Autofahrt zum Smartphone zu greifen. Vor allem dann, wenn das fietslezen am nächsten Ortseingang sofort und abrupt und konsequent beendet wird!

Fahrradfahren mit Regenschutz!
Paraplufietsen? Fietsen met paraplu? Fahrradfahren mit Regenschutz!

Fietsen mit Regenschutz

Eine andere Situation bot sich mir in zentraler Lage in Utrecht. Dort wartete ich einen sehr heftigen Sommerregen ab, geschützt unter dem Vordach einer Imbissstube. Mit Pommes frites. Ein separater Radweg verlief an der Straße gegenüber. In Deutschland wäre während meiner Wartezeit Zeit vermutlich niemand dort geradelt. Anders in Utrecht: Der Radweg war stark frequentiert, obwohl es vermutlich nur ein Schauer war, der bald aufhören würde. Einige fuhren sichtbar schneller, wegen des Regens, andere glitten gleichmütig durchs spritzende Nass. Zu meinem Erstaunen waren nicht wenige mit dem Regenschirm (NL: paraplu) in der Hand unterwegs. Auch das ist wohl eine bei unseren westlichen Nachbarn vertraute Kombination. Hierfür scheint es aber keine eigene Wortkreation zu geben. Für paraplufietsen gibt es wenig Belege, mehr für fietsen met paraplu.

Was ich nicht sah: Fahrradfahren mit Buch und Regenschirm.

Was ich nicht weiß: was davon ist nun verboten und was würde im Zweifelsfall auch geahndet.

Artikel über das fietslezen in der NRC.