Windkraft im Polder - Mühlen in Kinderdijk
Windkraft im Polder – Mühlen in Kinderdijk – CC0

Wie geht ein Deich?

Herr Wolkenstein war beschäftigt. Seit über einer Stunde kam er schon nicht mehr zur Decke und wollte etwas haben oder etwas fragen. Es war Ebbe, Herrn Wolkensteins Lieblingswasserstand. Er buddelte nach Lust und Laune. Das Wasser stieg bereits, Sandburg um Sandburg entstand unter seinen fleißigen Händen. Immer wieder stürzten sie ein, vom steigenden Wasser überspült. Dann stand Herr Wolkenstein eine Weile, betrachtete die Kraft des Wassers, versuchte hier und da noch etwas zu retten. Bald drauf entstand aber der nächste Hügel, einige Meter weiter oben am Strand. An Aufgeben oder an einen Bauplatz im sichereren Terrain dachte er nicht.

Schließlich hatte er doch genug. Er kam zur Decke hoch und ich ahnte: mit vielen Fragen.

„Du, du hast doch mal gesagt, dass in Holland ganz viel Land unterhalb des Wassers liegt …“

„Ja, das stimmt“, antwortete ich.

„… und dass nur die Deiche das Land schützen.“

„Ja, das stimmt auch.“

„Und dass die hier sogar neues Land aus dem Wasser gewonnen haben, wo vorher Meer war!“

„Ja, auch das“, bestätigte ich und ahnte, worauf Herr Wolkenstein hinaus wollte.

„Aber immer wenn ich einen Deich für meine Burg mit dem Sand bauen will und denke, das Wasser bleibt dann draußen, dann hält das nicht lange und der Deich stürzt ein. Und auch von unten kommt Wasser, wenn ich innen grabe, wo drumherum ein Deich ist. Da kommt immer Wasser aus dem Boden nach.“

Das hatte Herr Wolkenstein also die ganze Zeit getrieben. Ein Deichbauexperiment.

„Das stimmt auch. Aber das ist auch nicht ganz so einfach, mit etwas Sand und einem Deich …“, wollte ich ausholen, doch Herr Wolkenstein unterbrach sofort:

„Ich weiß auch, dass es nicht ewig hält, aber doch wenigstens ein bisschen, das sollte doch gehen …“

„Hm, also das ist wie gesagt schwierig. So ein richtiger Deich, der ist sehr teuer und muss sehr fest sein, damit er hält. Das ist technisch ganz schön aufwendig.“

„Aber so ein bisschen kann doch auch meiner halten …“

„Tut mir leid, kleiner Mann“, wollte ich sagen, doch musste ich auch lachen.

Flaches Land hinterm Deich - Polder in Nordholland
Flaches Land hinterm Deich – Polder in Nordholland

Ein Windrad von vor hundert Jahren?

„Und wie geht das nun, mit dem Wasser unter dem Land? Warum versinkt das nicht?“

„Also ganz früher, vor ein paar hundert Jahren, da haben die in Holland schon die Küste mit Deichen geschützt. Und da wo das Meer etwas ruhige war, haben sie versucht, dem Meer Land abzugewinnen. Nicht an der Seite, wo die offene Nordsee war, sondern an der geschützten Seite, dort wo heute das IJsselmeer ist. Die Deiche haben Sie ins Wasser hinein gebaut, einen Teil des Meeres abgetrennt und das Wasser abgepumpt. Das hat eine Zeit gedauert, dann war es richtig trockenes Land.“

„Wie denn gepumpt? Mit einer Luftpumpe?“

„Haha, Quatschkopp! Ja, aber irgendwie doch schon. Also mit Windkraft in jedem Fall.“

„Wie mit Windkraft? Die hatten damals auch schon Windräder, so wie bei uns auf dem Feld hinter der Siedlung?“

„Nicht ganz, die sahen ganz anders aus, aber Du kennst sie auch.

„Hä? Nu sag schon, wie denn?“

„Na, die Windmühlen, die an den Kanälen hier stehen. Hast Du auf der Hinfahrt doch gesehen und sogar gezählt. Wie viele hattest Du?“

Herr Wolkenstein schaute sichtlich irritiert. Er überlegte kurz und fragte weiter:

„Also sind Windmühlen in Holland Wasserpumpen? Aber bei uns haben die früher Mehl gemacht, oder? Das hast Du mir mal erklärt. Der Müller in der Mühle.“

„Das stimmt. Windmühlen waren früher wie Kraftwerke. Nur haben die keinen Strom hergestellt, denn es gab ja noch keine Maschinen mit Strom. Aber die Bewegung konnte man trotzdem nutzen. Der Wind hat die Windmühlenflügel gedreht und die konnten verschiedene Maschinen antreiben. Mühlsteine für das Korn, auch gesägt hat man mit Windmühlen. Und eben Wasser gepumpt. Weil in Holland in den Poldern sehr viel Wasser gepumpt wurde, stehen entlang der Kanäle so viele Windmühlen.“

Deich bei Lauwersoog
Hinterm Deich die See

Weshalb bleibt der Polder trocken?

„Was ist das nochmal so ein Polder?“

„Ein Polder ist ein Stück Land, das nur trocken ist, weil es hinter einem Deich geschützt ist. Meistens ist es ein Gebiet, das einmal unter Wasser war.  Oder es würde von der Flut überflutet und ist davor mit einem Deich geschützt.“

„Und das hält alles? Ich finde das ziemlich gefährlich! Das Wasser kommt da doch einfach durch. Das habe ich gesehen, bei meiner Burg!“

„So ein Deich am Meer ist sehr gut befestigt, mit Steinen und Beton, manche auch mit reißfesten Matten. Früher hat man Stroh genommen, heute Kunststofffolie. Da hat man viele hundert Jahre probiert, was am stabilsten ist.“

„Ich glaube, das ist trotzdem ganz gefährlich, wenn die unter dem Wasser hier wohnen.“

„Es wird natürlich auch heute noch das nachfließende Wasser abgepumpt. Aber heute nicht mehr mit Windmühlen, sondern mit elektrischen Pumpen.“

Herr Wolkenstein überlegte und betrachtete für einen Moment den Ort, an dem die Überbleibsel seiner letzten Burg langsam von der Flut fortgespült wurden.

„Also könnte man …“

„Nein, nein“, entgegnete ich, „wir probieren jetzt nicht, mit einer Pumpe das Wasser aus einer Sandburg …“

„Och, Menno!“

„Willst Du noch spielen?“, fragte ich Herrn Wolkenstein.

„Wann ist wieder Ebbe?“, entgegnete er und schaute skeptisch auf das noch steigende Wasser.

„Heute nicht mehr, wir gehen gleich zum Haus zurück, morgen wieder.“

„Baust Du morgen mit mir einen Deich, der besser hält? Meinst Du wir können auch so eine feste Folie unterlegen? Könne wir die kaufen?“

„Hm, das hält vielleicht ein bisschen besser, wird dann aber auch weggespült.“

„Aber Du hilfst mir morgen, oder?“

„Na klar, wenn Du möchtest! Wenn Du auch möchtest, können wir auf dem Rückweg nach Hause zu einem Museum fahren, wo ganz viele verschiedene Windmühlen gezeigt werden. Da kann man reingehen und sehen, wie die früher gearbeitet haben. Willst Du das?

„Ja, vielleicht.“

„Oder wollen wir lieber eine ehemalige Insel besuchen, die jetzt wie ein kleiner Hügel in einem Polder liegt, weil das Land drumherum trockengelegt wurde?“

„Echt sowas gibt es? Das ist ja lustig. Und die Leute von der Insel?“

„Die Insel wurde vorher schon verlassen, weil eine Sturmflut sie überschwemmt hat. Später, als der Polder gebaut war, sind einige Bewohner der Insel wieder in die Nähe gezogen.“

„Okay, machen wir.“

„Eis oder lieber Pommes?“

„Wieso oder?“

Herr Wolkenstein grinste. Wir packten die Strandutensilien in unsere große Strandtasche. Auf dem Weg ins Dorf kam uns die seeseitige Düne, die wir immer überqueren mussten, was wir immer sehr mühsam fanden, auf einmal ganz schön niedrig vor. Aber bisher hat sie noch jede Sturmflut abwehren können.

 

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Danksagung:
Die Figur Herr Wolkenstein entstand in Erinnerung an den wundervollen Herrn Sonntag von der grandiosen Julia Gräfner, beide waren ein besonderer Teil von Schmalz & Marmelade, der unvergessenen Lesebühne in Schwerin.