Das Hollandrad: Gazelle auf der Insel Marken
Das Hollandrad schlechthin: Meine Gazelle auf der Insel Marken

Ich gleite dahin über dunklen Asphalt, durchziehe die Landschaft, wie ein Kreuzfahrtschiff die spiegelglatten Wasser der Ägäis teilt, bei leichter Sommerbrise. Mein Gefährt: ein Hollandrad. Die Hände ruhen vor mir am Lenker, ab und an geben Sie einen leichten Impuls in Richtung des Wegs. Der Tritt gleichmäßig, gibt der Fahrt ihre Kraft im Auf und Ab der Pedalen. Die Nabenschaltung surrt leise, klackert bei Leerlauf, der Fahrtwind liegt im Haar. Ich genieße. Ich fahre und genieße. Ohne Eile wird der Weg zu Strecke, über dem Boden schwebend. Der Blick schweift und weiß: ich gehöre mir.

Es ist genau dieses Gefühl, ein unvergleichliches Fahrgefühl. Nicht Radeln, nicht E-Biken, nicht Offroad oder BMX. Sondern trotzend den Wettern aufrecht im Wind, stilvoll elegant unterwegs auf dem Hollandrad. Am liebsten das mit dem königlichen großen G, die Antilope im Wappen.

Ich lernte das Hollandrad zu lieben vor etwa 20 Jahren, während meines Studienjahres an der Universiteit van Amsterdam, gemeinsam mit der dazugehörigen Gemächlichkeit. Gewiss, ich probierte es schon als Jugendlicher während des Nordseeurlaubs, doch war ich zu der Zeit noch zu forsch und auf Geschwindigkeit aus. Denn schnittig sind sie nicht, auch nicht gut auf Tempo zu bringen. Aber einmal in Fahrt, gleitet sie nur so dahin und die große Schwungmasse sorgt für eine geschmeidige Bewegung.

Klapprig, doch mit Übersicht: Fahrradfahren in Amsterdam

Die Hollandräder, auf denen ich Mitte der 90er-Jahre in Amsterdam unterwegs war, waren noch alles andere als stilvoll und luxuriös. Sie waren eher die klapprige Zweit- oder Drittverwertung. Und einmal abgestellt und nicht aufgepasst, waren sie oftmals schon wieder verschwunden, in den großen Kreislauf der Amsterdamer Fahrräder eingeflossen. Ab zum Bahnhof und für 25 Gulden ein neues besorgt. Leider viel zu oft, ich ließ, glaube ich, in einem Jahr vier Räder dort. Teurer als die Räder selbst waren die Schlösser, zwei gute Bügelschlösser sollten es schon sein.

Oli auf Gazelle
Oli auf Gazelle

Und doch waren die klapprigen Hollandräder ideal für den Stadtverkehr in der Weltfahrradstadt. Denn Überblick ist was hier zählt, bremsen weniger. An Kreuzungen fädeln sich die Verkehrsströme, die aus allen Himmelsrichtungen kommen und in alle Himmelsrichtungen wieder entschwinden, auf wundersame Weise ein und wieder auseinander. Keine viertaktige Ampelschaltung könnte es besser regeln. Dem Fahrradverkehr einzig angemessen ist die Selbstorganisation, man möchte sagen Anarchie, die hierzulande toleriert wird und für die das Hollandrad Wappentier und Kronzeuge ist. Im Fahren unschlagbar, im Beschleunigen und Bremsen suboptimal. Große Hindernisse stellten leider auch die Grachtenbrücken dar. Denn wie aus dem Nichts erhob sich die gepflasterte Straße zu einer halbkugelförmigen Wölbung und nahm jäh allen Schwung. Schlimmer nur waren die Zugbrücken, da war Warten angesagt. Aber Kopf hoch, denn kaum wieder auf Trab gehört die Straße mir.

Von nun an Fan: mit Zelt und Hollandrad in den Urlaub

Herbst 1995, zurück in Berlin. Ich mein altes Rad, 24-Gänge-Kettenschaltung Fahrradmanufaktur, eingemottet und mir eine Gazelle erstanden. Denn auch Berlin ist in weiten Teilen, vor allem die szenigen, rot-grün geplanten Westberliner Innenstadtbezirke, fahrradfreundlich und vor allem eben. Aus Amsterdam habe ich mir einen typischen Vornegepäckträger mitgebracht und dann hinein in den wilden Verkehr.

Selbst im Urlaub blieb ich meiner Gazelle treu, vorne das Zelt, zwei Isomatten und den Schlafsack aufgespannt. Das Lenken verwandelte sich von kurzem Impulsgeben zum zupackenden Kraftakt. Doch egal: der zusätzliche Fahrspaß, der wie gesagt dort einsetzte, wo der Fuhrverband einmal in Schwung gekommen durch die Wogen glitt, glich alle Unbill aus. Da ich mit meiner Frau unterwegs war, nahm ich das faire Handicap als Ausgleich für größere Ausdauer in Kauf, so entstand Waffengleichheit.

Als Verkehrsmittel gleicht die Gazelle natürlich eher dem urbanen Geländefahrzeug, dessen Erfolgsgeschichte ebenfalls nicht durch höheren Kraftaufwand sprich Spritverbrauch geschmälert wird. Der erhöhte Sitz, das thronen über den Verkehrsverhältnissen, der königliche Status, gleicht diesen Mehreinsatz mehr als aus. Sie ist der Rolly-Royce unter den Zweirädern.

Ich gebe zu, inzwischen habe ich doch wieder ein Tourenrad mit mehrgängiger Kettenschaltung, aber in Wirklichkeit bin und bleibe ich ein Gazellenfahrer. Ich glaube ich kaufe mir bald wieder als Weggefährten so ein schönes Gefährt , einen Nullemmissions-SUV, lieber klassisch schwarz und nicht pop modern mit überdicken Reifen und urbanem Design.

… oder doch, mal sehen, wer weiß. Ich halte Sie und Euch, meine werte Leserschaft, auf dem Laufenden. Oder eben auf dem Fahrenden. Und entschuldige mich für diesen flachen Wortwitz. Bzw. eher für diesen Platten, äh Wortwitz. Ach, ich belasse es jetzt hierbei und wünsche immer gute Fahrt.

Weitere Links

Die Fahrradfabrik Gazelle wurde in 1892 von Willem Kölling in Dieren bei Arnhem gegründet. Heute werden dort jährlich 350.000 Fahräder produziert. Zum 100-jährigen Jubiläum verlieh das Niederländische Königshaus dem Unternehmen das Prädikat Königlich.

Ein schönes Blog über Hollandräder ist das Hollandradblog von Ulrich Gries (Berlin).

Und die Hymne für alle niederländischen Fahrradfreunde ist sicherlich das Lied „Fiets“ von Herman van Veen.

Lekker radeln: wie ich doch einmal E.Bike fuhr